SaschaSalamander

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Der Augensammler

fitzek_augensammler_150.jpgUnd wieder ein neuer Fitzek, und wieder kann ich die Finger nicht davon lassen. "Die Therapie" damals hatte mich so begeistert, dass ich seitdem jedes neue Buch von ihm lesen muss. Aber wie bei vielen begabten Autoren folgen nach einem Meisterwerk ein paar nette Romane, und danach scheint es einen Veröffentlichungsdruck zu geben, den die Autoren erfüllen müssen.

Diesmal geht es um den Reporter Alexander Zorbach. Früher Polizist, nach einem tragischen Ereignis vor vielen Jahren jedoch aus dem Dienst ausgeschieden und zur Presse gewechselt. Er ist an einem heißen Fall dran: der "Augensammler" tötet die Mutter, drückt ihr eine Stoppuhr in die Hand, entführt das Kind und lässt dem Vater knapp zwei Tage zum Suchen des Kindes, bevor dieses stirbt. Dem Kind entfernt der Sammler ein Auge. Eines Tages trifft Zorbach auf die blinde Physiotherapeutin Alina, welche den Augensammler in ihrer Praxis hatte. Sie kann bei Berührung mit einem Menschen in dessen Vergangenheit sehen und wusste nun, wer bei ihr war. Doch natürlich glaubt ihr keiner. Auch Zorbach hält es für ein irres Hirngespinst, dennoch scheinen Alinas Worte wahr, und er beginnt auf eigene Faust mir ihrer Hilfe zu ermitteln. Die Hinweise zeigen immer deutlicher auf ihn selbst, aber das kann doch nicht sein? Und warum sind Alinas Visionen so klar und korrekt, zugleich aber fehlerhaft und irreführend?

Nun ja, was soll ich sagen? Es war ein netter Roman, packend, mit ein paar Längen, aber im Großen und Ganzen okay. Das einzige, was es zu einem Problem macht ist, dass man eben leider immer bestimmte Autorennamen an eine Erwartung koppelt. Bei Fitzek erwartet man ein Ende mit grandiosem Story-Twist. Ist hier auch gegeben. Aber es ist eben schwierig, ständig sich etwas Neues aus den Fingern zu saugen, und so wird es irgendwann immer unrealistischer. Bei "Splitter" zuletzt war es völlig an den Haaren herbeigezogen, bei diesem hier ist es realistisch aber irgendwie ... hm, andere Leser waren begeistert und erstaunt, mich hat es offen gesagt nicht vom Hocker gefegt. Für mich war es irgendwie abzusehen, und während des gesamten Buches dachte ich mir, dass Zorbach aufpassen muss was er tut, denn sonst ... spätestens, als Zorbach persönlich auf den Vater der verschwundenen Kinder traf, war es mir absolut klar, wie die Story enden würde.

Der Täter dagegen war überraschend, das stimmt, aber das ist etwas, worauf ich häufig nicht mehr achte. Denn ich habe oft das Gefühl, dass die Autoren das willkürlich machen. Während es früher häufig Hinweise gab, an denen die Leser es erkennen konnten, so scheint es mir, als würden in den letzten Jahren vermehrt irgendwelche Personen genommen, die eben eine gewisse Rolle im Roman innehätten (scheint ein Hinweis, anhand dessen man es erkennen könnte, und ich hatte es tatsächlich geahnt. Nicht aufgrund der Story, sondern aufgrund der Personenkonstellationen untereinander). Es bleibt ein schales Gefühl, denn es kommt mir sehr konstruiert vor. Schade darum ...

Was noch dazu kommt: der Horror spielte sich anfangs bei ihm im Kopf ab, es ging weniger um die grauenvollen Beschreibungen nach außen hin als vielmehr die schrecklichen Gefühle, Erlebnisse. Hier war es jedoch mal ein völlig "normaler" Thriller, und als typisch Fitzek hätte ich ihn nicht wirklich erkannt. Vom Schreibstil her ja, vom Inhalt her eher nicht, dazu wirkte er zu "normal". Verwesende Leichen, erstickte Menschen, herausgeschnittene Augen, ertrunkene Kinder, sowas schreibt jeder Autor. Wenn er besonders hoch in der Bestsellerliste klettern will, möglichst ausführlich und eklig-detailliert.

Die Kapitelzahlen laufen rückwärts. Fand ich anfangs verwirrend, aber man hat sich schnel daran gewöhnt, zumal die Handlung stringent vorwärts gerichtet ist. Neu ist diese Idee nicht, aber sie wird selten umgesetzt, und im allerletzten Kapitel dann ist endlich klar, was er damit bezweckte. Infosern eine sehr gute Idee. Und meiner Ansicht nach sogar eine Idee, die nach einer Fortsetzung schreit!

Was diesen Roman allerdings hervorhebt, ist die Darstellung der blinden Alina. Ich habe durch eine Freundin erfahren, dass Blindheit nichts mit den üblichen Klischees zu tun hat, die man Betroffenen andichtet. Habe erlebt, wie sie ihren Alltag meistert, welche Hilsmittel es überall gibt und woran sie sich orientiert und wie sie Dinge erkennt. Daher fand ich den Roman insofern sehr spannend und informativ, zeigte er doch tatsächlich nicht die "Behinderung", sondern vor allem dem ganz normalen Alltag. Ich fand es so faszinierend geschrieben und (nach dem, was ich erlebt habe) auch sehr realistisch, von mir aus hätte das Buch in dieser Hinsicht dreifach so lang sein können oder er hätte ein Buch nur über dieses Thema schreiben können. Farbsortierung in der Waschmaschine, Schminke, Tattoos, Spiegel und Bilder an den Wänden, am Handgelenk einen Menschen einschätzen, Tempo der Autos beim Straßenüberqueren wahrnehmen, Internet, Malen, Gestik und Mimik erlernen, Menschen im Gespräch ansehen. Stellenweise hatte ich das Gefühl, er würde von meiner Freundin schreiben, die auch nicht zu den hilflosen Blinden gehören möchte, sondern alles tut, ganz normal aufzutreten, und der das auch hervorragend gelingt. Ich denke, da hat Fitzek einen super Einblick gebracht, der manche vielleicht störend vom Krimi ablenkt, für andere aber eine super Abwechslung in den Roman bringt, die ihn auf diese Weise doch wieder zu etwas Besonderem macht.

Als Thriller reihe ich ihn in meiner Empfehlung mal neben die anderen momentan aktuellen Bestseller, ob nun Jilliane Hoffmann, Andreas Franz, Tana French, Kathy Reichs, Simon Beckett und andere. Eine Empfehlung, um mitreden zu können und sich nett zu unterhalten.

Als Fitzek stecke ich ihn mal in die Mitte. Er hatte definitiv besser (aber mir ist klar, dass man nicht zehn verschiedene Meisterwerke schreiben kann, er hat mit seinem Erstling die Messlatte bereits extrem hoch gelegt), aber auch einige schlechtere (ich denke da an Splitter, der für mich die größte Enttäuschung in der Reihe war).

Insgesamt ein Roman, der sehr gut unterhält und für den man auch gerne mal ein Stündchen Lesegenuss länger aufbleibt oder freiwillig das Bad putzt, während man Simon Jägers Stimme im Ohr hat :-)

SaschaSalamander 22.11.2010, 15.18

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