SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Drei ist keiner zuviel

DREI IST KEINER ZUVIEL von Sabine und Wolf Deunan ist ein Beziehungsbuch der ungewöhnlichen Art. Denn es geht um das Thema Offene Beziehung / Polyamorie. Allerdings ist es kein Ratgeber, sondern ein Erfahrungsbuch mit hilfreichen Gedanken für den Leser.


DIE BOTSCHAFT DER AUTOREN

Einen klassischen Ratgeber zu schreiben halte ich bei diesem Thema für unangebracht und offen gesagt aufgrund der Vielzahl von Varianten auch für nahezu unmöglich. Das (Autoren)Paar hat daher die sinnvolle und lebensnahe Möglichkeit gewählt, eigene praktische Erfahrungen zu teilen und diese in einer Art Konzept vorzustellen. Sie betonen dabei jedoch immer wieder die Individualität einer jeden einzelnen Beziehung: Mann/Frau kann hier beliebig ausgetauscht werden, es ist egal ob homo- oder heterosexuell, egal ob ein oder zwei oder drei Partner, egal ob für gelegentliche Sexspiele oder langfristige Freundschaft oder gar Bindung. Es ist ihnen ebenfalls wichtig zu erwähnen, dass eine offene Beziehung nicht das einzig wahre Konzept und Monogamie weder besser noch schlechter ist. 

Die Wertschätzung gegenüber dem eigenen Ehepartner, dem jeweiligen Spiel- oder Liebespartner und auch dem Leser gegenüber spricht aus den Zeilen und macht das Buch nicht nur unterhaltsam, sondern vor allem auch angenehm zu lesen. Man fühlt sich nicht vor den Kopf gestoßen, wenn die Meinung der Autoren von der eigenen abweicht, sondern vielmehr bereichert um weiterführende Anregungen und Gedanken über den eigenen Horizont hinaus. 


INHALT

Zu Beginn des Buches erst ein wenig Theorie. Nicht trocken, sondern spannend da nur kurz angerissen: Religion, Spiritualität, Historisches, Forschung und Wissenschaft, bekannte Poly-Paare, Juristerei, Literatur. 

Im Anschluss werden die Begrifflichkeiten geklärt: Offene Beziehung, Swinger, Bigamie / Polygamie, Seitensprung. Auch die Erläuterung, was davon mit Poly zu tun hat, was nicht und warum. 

Dann folgen unterschiedliche Themen. Etwa die Frage, was Menschen bewegt diese L(i)ebensform zu wählen. Unter welchen Voraussetzungen diese Beziehungsart sinnvoll sein kann und wann man davon Abstand nehmen sollte. Welche Fallstricke für die einzelnen Beteiligten in dieser Konstellation lauern. Welche Vorteile eine solche Beziehung für alle Partner hat. 

Wichtig ist auch das Thema "Regeln". Sie betonen immer wieder, dass jedes Paar eigene Regeln hat. Und nicht alle Vereinbarungen sind mit dem Verstand erklärbar, weil alles höchst emotional behaftet ist. Kommunikation ist hierbei das A und O. Dafür liefern die Autoren mit ihrem Buch eine gute Grundlage, indem sie einige der gängigen Regeln anführen und wertfrei zur Diskussion stellen.

Es gibt kein "besser" oder "schlechter", deswegen haben auch Poly-Beziehungen Nachteile oder können Konflikte in sich bergen. Zum Beispiel wenn Absprachen gebrochen werden, ein Beteiligter mehr will als geplant, wenn ein ungewolltes Outing das Zusammensein erschwert, wenn ein Dritter einen Keil in die andere Beziehung treiben will. Wenn die Hauptbeziehung sowieso brüchig ist, kann eine Polybeziehung Gift sein. Und dann ist da natürlich noch die fehlende Zeit - zwei Beziehungen machen doppelt so viel Arbeit wie eine ;-)

Die beiden Autoren schildern auch, welche Möglichkeiten sie kennen, mit Eifersucht umzugehen (denn es mag einige wenige Menschen geben, die davon frei sind, doch die meisten kennen dieses Gefühl). Sie schildern auf äußerst liebevolle, menschliche Weise, welche Ängste aufkommen können, wenn der Partner sich anderweitig auslebt. Man kann eifersüchtig sein auf die gemeinsame Zeit, die Sexualität, die Nähe, die Zuwendung, die gemeinsamen Erlebnisse - wann und warum dies geschieht und was man dagegen tun kann, wird sehr schön beschrieben.

Kinder sind ebenfalls ein eigenes Feld, weil sie natürlich nicht einfach ausgeklammert werden dürfen. Kinder können Angst haben, den Vater / die Mutter zu verlieren, sie werden in der Öffentlichkeit von anderen darauf angesprochen, sie sind auf die Erwachsenen angewiesen und ihnen ausgeliefert und dürfen niemals vernachlässigt werden. 


STIL DES BUCHES

Wie bereits gesagt handelt es sich um ein reines Erfahrungsbuch. Es gibt nur sechs Quellenangaben, und das sind keine wissenschaftlichen Bücher sondern entweder Romane oder andere Erfahrungsberichte. Der Schreibstil ist entsprechend fließend, sehr locker und teilweise sogar schon etwas flapsig. Dabei wird es jedoch niemals albern oder zotig, wenngleich der Humor teils doch sehr direkt und erwachsen ist. 

Das Buch liest sich alltagsnah und menschlich. Ich hatte sehr oft den Eindruck, man würde bei mir zu Hause ins Wohnzimmer blicken. Es ist erschreckend, tut aber zugleich auch sehr gut zu erkennen, dass die meisten Beziehungen im Grunde ähnlich funktionieren, unter ähnlichen Problemen leiden, der Alltag auf die gleiche Weise Einzug hält. Wo die Öffentlichkeit meist Romantik und Herzklopfen vorgaukelt, selbst nach 30 Jahren Beziehung, bleiben die Autoren realistisch. Sie sind nicht perfekt, wollen es auch gar nicht sein, bemühen sich aber sogut als möglich um den festen Partner. Und genau deswegen eignen sie sich für den aufgeschlossenen Leser auch sehr gut als Rollenmodell, an dem man das eigene Beziehungsbild hinterfragen kann. 

Es liest sich, als würden gute Freunde abends auf dem Sofa bei einem Glas Wein begeistert von ihren Erfahrungen erzählen.


EIGENE MEINUNG

Beworben wird das Buch auf dem Cover mit "das ultimative Einsteigerbuch in eine offene Beziehung", auf dem Klappentext steht "das ideale Einsteigerbuch zum Thema Polyamorie". Eine der größsten Stärken und zugleich Schwächen des Buches also: es kann und will sich nicht klar festlegen. Geht es jetzt um eine offene Beziehung oder um Polyamorie? Und wo ist überhaupt die Grenze? Es ist unglaublich schwer, die Begriffe zu trennen. 

Ich ging beim Lesen anfangs davon aus, dass von Polyamorie die Rede ist. Daher war ich immer wieder irritiert, wenn ich las "es kann gefährlich werden, wenn einer der Beteiligten anfängt sich zu verlieben" oder "ein Partner kann ein Veto einlegen, wenn er die Gefahr der Verliebtheit erkennt". Ähm, steckt "Liebe" nicht bereits in "Amorie"? Die ständige Betonung von Begehrlichkeit, Ausleben sexueller Bedürfnisse und "Friends with Benefits" empfand ich als unangenehm. 

Das legte sich aber nach etwa der Hälfte des Buches. Denn die Autoren gehen locker damit um, dass manche Paare eine dritte Liebesperson in die Beziehung aufnehmen, andere einfach nur Sex mit einem sympathischen Menschen haben wollen. Zudem wird bald ersichtlich, dass sie eher auf das Abenteuer der Eroberung aus ist, der männliche Part des Duos lieber eine langjährige feste liebende Zweitbeziehung führt statt auf die Jagd zu gehen. 

In manchen Punkten des Buches konnte ich mich sehr gut wiederfinden. Es tat gut, sich bestätigt zu sehen und zu erkennen "andere empfinden genauso". Gelegentlich habe ich den Autoren innerlich widersprochen, und das war okay, da ihr wertfreier Stil niemanden verletzt. 


FAZIT

Ich kann das Buch aufgeschlossenen Lesern sehr ans Herz legen. Wer sich bereits damit befasst hat (gedanklich oder praktisch) wird neue Anregungen finden sich selbst zu hinterfragen. Wer an dem Thema interessiert ist, bekommt eine sehr schöne Grundlage, was es bedeutet, in einer offenen Beziehung zu leben. Ich wünsche mir, dass viele Leser dieses Buch in die Hand nehmen und die Augen dafür öffnen, dass Monogamie zwar für die meisten richtig aber kein Muss für alle ist ... 

SaschaSalamander 08.03.2017, 08.41

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Viktor Leberecht

Danke für die aufschlussreiche Rezension. Das Buch wäre mir sonst vielleicht entgangen.
Herzliche Grüße,
Viktor

vom 09.03.2017, 11.47
Antwort von SaschaSalamander:

Jup, habe es nur zufällig im Regal bei einer Freundin entdeckt, ansonsten hätte ich da auch nicht gesehen, ...

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