SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Saint Young Men

Jesus und Siddharta (Buddha) sind gute Freunde, die gemeinsam in Tokyo Urlaub machen. Trotz ihres gegensätzlichen Wesens verstehen sie sich sehr gut und trotzden immer wieder den Tücken des menschlichen Alltags. Ob im Dampfbad, im Kino, im Krankenhaus, beim Schlittschuhlaufen, beim Verkosten neuer Speisen - Sie möchten nicht als Heilige erkannt werden, doch sie treten in so ziemlich jedes Fettnäpfchen und lösen die Situation dann doch immer wieder in Wohlwollen auf.


INHALT / GENRE

Sehr viel mehr gibt es inhaltlich nicht zu SAINT YOUNG MEN ZU SAGEN. Denn das ist im Grunde die gesamte "Handlung". Keine fortlaufende Story, sondern einzelne Episoden von wenigen Seiten. Mann kann die kurzen Geschichten sogar ohne Reihenfolge lesen, da jede für sich steht, eine typische Rahmenhandlung gibt es nicht. Da der Manga viele kleine Panels und sehr viel Text hat (sehr dialoglastig), finde ich diese kurzen Episoden ideal, um hier mal zehn Minuten vor dem Schlafen zu lesen oder kurz fünf Minuten Wartezeit zu überbrücken. Die Informationen sind teilweise auch sehr geballt, sodass ich sie gerne nachwirken lasse oder recherchiere. 

Die Zeichnungen sind sehr detailliert und realistisch, unterstreichen oft die Komik der Situation. Doch das Augenmerk liegt wie gesagt auf den Dialogen. Es ist spannend, wenn Jesus und Siddharta sich während des Wartens auf den Hauptfilm im Kino unterhalten über die verschiedenen Verfilmungen beider Biographien. Auf diese Weise wird zwar keine Kritik geübt durch die Autorin, aber sehr viel reflektiert, und viele der Aussagen regen zum Nachdenken an. Außerdem hat Jesus im Kino kein Problem mit Spoilern, er ist das gewohnt, schließlich ist das Ende der Welt bis ins kleinste Detail vorhergesagt ;-)

Es ist witzig, wie so unglaublich viele Details der Religion in den Alltag integriert und mit modernen Gegebenheiten verknüpft werden. Mir gefällt es, wiesehr der Manga in die Tiefe geht und auch Dinge aufgreift, an die man sonst in dieser Form gar nicht denken würde. 


RELIGION / JAPANISCHE KULTUR

Ich will nicht päpstlicher sein als der Papst, aber je nach Umsetzung des Themas habe ich manchmal gewisse Probleme damit. Die Grenze zwischen Humor und Blasphemie ist hauchzart, und selbst wenn ich einer Religion nicht angehöre finde ich einen gewissen Respekt unabdingbar. 

Das Thema "Heiliger wandelt auf der Erde" gab es ja schon öfter, z. B. aktuell bei >Hans Rath< oder als Ustinovs Klassiker DER ALTE MANN UND MR SMITH. Auch wird Religion häufig mehr oder weniger humorvoll angegangen, ich denke an DOGMA, LIFE OF BRIAN, BIFF, JESUS LIEBT MICH, GOTT BEWAHRE oder DAS BRANDNEUE TESTAMENT. Nicht alle von diesen Titeln gehen respektvoll mit Religion um, aber das ist natürlich eine rein subjektive Interpretation. Daher war ich recht skeptisch gegenüber SAINT YOUNG MEN. 

Meine Sorge war aber unbegründet. Ja, es gibt Humor. Doch dieser geht nicht auf Kosten der Religion oder zulasten der Protagonisten, sondern es ist ein "mit ihnen lachen", kein "sie auslachen", zumal ja alle Situationen positiv ausgehen. Beide, Siddharta und Jesus, sind so herzlich und sympathisch, dass man sie einfach mögen muss. Und trotz der Unterschiede finden sie immer zueinander - etwas, das mir bei den Religionen sehr wichtig ist: nicht der Konkurrenzkampf sondern das Besinnen auf den gemeinsamen Nenner. 

Außerdem erfährt man, selbst wenn man sich sowohl mit Christentum als auch Buddhismus recht gut auskennt, eine Menge über die beiden Religionen. Die Autorin ist wirklich ziemlich in die Tiefe gegangen und hat einiges herausgepickt, das sogar mir als extrem christlich erzogener Person neu ist. 

Beispiel: Jesus und Buddha tragen gerne T-Shirts mit Sprüchen darauf, etwa Jesus eines mit "zwölf Spatzen". Dies bezieht sich darauf, dass er als Kind einmal Spatzen aus Lehm geformt und zum Leben erweckt haben soll. In jeder Geschichte ein anderes Shirt, in jeder Geschichte eine andere Anekdote, Besonderheit, Trivia, Zusatzinfo, Legende. Auch wird intensiv eingegangen auf religiöse Bräuche und Feiertage. 

Eine Folge erklärt den Brauch Buddhas und seiner Anhänger, ihre Kleidung (Funzuoe) aus aufgelesenen Fetzen zusammenzunähen. Mit diesem Hintergrund tauschen sich Jesus und Buddha traurig aus, welches Schicksal die Opfer jener zerschlissenen, zerfetzen, fleckigen Kleidung wohl erlitten haben mögen (es sind Designerjeans der Label Edwin und Lee, natürlich müssen die beiden im Geschäft umgehend für die armen Gewaltopfer beten). 

Während in 0815 Shojo und Shonen Mangas immer wieder ähnliche Themen auftauchen (Schule, Arbeit, Familie, Beziehung, Alltag), geht es hier sehr viel um Brauchtum und Feiertage. Und der Alltag geht über das in jugendlichen Mangas gezeigte Maß hinaus. Dadurch erfährt der westliche Leser auch sehr viel über das Leben in Japan, und schon oft habe ich nachgeschlagen, gegoogelt und mich genauer über einzelne Hintergründe informiert. 

Dem Übersetzer ist klar, dass die meisten Dinge nicht nachvollziehbar sind, daher gibt es in winziger Schrift extrem viele Fußnoten zwischen den Panels, um einen Witz zu erklären. Das ist mühsam zu lesen, es stört auch den Lesefluss, aber ich finde es sehr informativ und hilfreich, und umso mehr freue ich mich, wenn ich einen Witz verstanden habe und darüber lachen kann. 


CHARAKTERE

Jesus ist sehr emotional, manchmal schon sehr verweichlicht, aber auch von einer kindlichen Naivität und Begeisterungsfähigkeit, die einfach ansteckend ist. Er kann seine Gefühle kaum im Zaum halten, beginnt ebenso schnell zu weinen wie zu lachen oder in Jubelrufe auszubrechen. Er führt einen Blog über seine Erlebnisse und hat viele Fans, Frauen stehen auf ihn. Den Verlockungen der Werbung ist er sehr schnell ausgesetzt, und Siddharta muss ihn oft bremsen. Er kann Dinge verwandeln, Wasser teilen, wodurch im Alltag manchmal ungeplante Situationen entstehen. Manchmal blutet er aus seinen Wunden, und auch die Dornenkrone hat ein gewisses Eigenleben, was ebenfalls zu gelegentlichen Verwunderungen der Umstehenden führt.

Sein Vater wacht über ihn, gibt ihm klare Anweisungen, und die Engel beschützen ihn. Als Jesus erstmals einen Wasabi kostet (und natürlich viel zuviel davon in den Mund nimmt), führt dies zu einem ziemlich bedrohlichen Einsatz des Erzengels. Doch nachdem Siddharta beruhigend auf Jesus einredet und ihm dies genauer erklärt, werden auch die Engel besänftigt und können wieder von dannen ziehen. Eine Szene, die hier in Textform wenig lustig ist, als Manga mit ihrer überzogenen Darstellung aber einer meiner Lieblingsmomente war. Als Jesus ein andermal seinen Emotionen wieder einmal zusehr freien Raum lässt, erscheint ein Regenbogen, in welchem sein Vater ihn ermahnt, Siddharta nicht zusehr zur Last zu fallen. Als Jesus beim Schlittschuhlaufen sehr ungeübt ist und nicht auffallen will, reichen die Engel ihm eine helfende Hand, sodass er über das Eis schwebt.

Siddharta ist kontrolliert, genügsam und meistens recht ausgeglichen. So ausgeglichen, dass er auch schon mal versehentlich zu leuchten beginnt oder über dem Boden schwebt. Tiere werden von ihm angezogen und wachen über ihn, was manchmal zu witzigen Situationen führt, im Alltag aber ganz besonders der Vermieterin aufstößt. Stets bescheiden und zurückhaltend, lässt er sich manchmal trotzdem von der Begeisterung Jesu anstecken und freut sich sehr, wenn er sich dann einmal etwas Besonderes gönnt, ein Geschenkt erhält oder genießt ausnahmsweise doch die Bewunderung seiner Anhänger. 

Er schreibt an einem Comic über das himmlische Leben, der bei seinen Anhängern viel Anklang findet. Ananda und andere seiner Nachfolger stehen ihm bei, aber auch rivalisierende Gottheiten führen ihn in Versuchung, erschrecken ihn. 

Sie treffen auf die unterschiedlichsten Menschen, sodass jedes Kapitel neue Charaktere bietet, die aber keine eigene Persönlichkeit haben sondern einfach Mittel zum Zweck der Erzählung sind. Es gibt auch einige sehr wenige wiederkehrende Charaktere, etwa die Vermieterin oder ein Yakuza (jap. Mafia). Diese sorgen für ein paar Running Gags, etwa wenn der Yakuza Jesus aufgrund eines Missverständnisses für den Sohn eines mächtigen Gangsterbosses hält, ihn stets entsprechend respektvoll und unterwürfig behandelt.


FAZIT

Entgegen meiner anfänglichen Skepsis ist SAINT YOUNG MEN einer meiner liebsten Titel im Regal geworden. Humorvoll, freundlich, herzlich, informativ, lehrreich und durchdrungen von einer Philosophie, die ich sehr sympathisch finde. Man muss Jesus und Buddha einfach mögen ;-)


SaschaSalamander 24.06.2016, 08.52

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