SaschaSalamander

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Tag: Drama

Solange die Nachtigall singt

INHALT

Die Handlung ist sehr komplex und schwer widerzugeben, wenn man nicht zuviel verraten möchte. Deswegen hier nur der Klappentext:

Ein Haus, abgeschieden von der Zivilisation.
Ein Wanderer, der sich verirrt.
Ein Wald mit zu vielen Gräbern.

Völlig unverhofft trifft der achtzehnjährige Jari auf die geheimnisvolle Jascha, deren Schönheit er sich nicht entziehen kann. Er folgt ihr in das abgeschiedene Haus mitten im Wald, wo sie lebt. Und das, obwohl er spürt, dass dieser Ort ein düsteres Geheimnis birgt. Etwas ist geschehen. Etwas, das schrecklicher ist als alles, was Jari sich je hatte ausmalen können. Etwas, das ihn in tödliche Gefahr bringt


GENRE

Inzwischen wissen die Fans der Autorin, dass sie sich auf kein Genre einstellen sollten. Antonia Michaelis ist eine Meisterin darin, die Grenzen der vorgegebenen Erzählmuster und Plotstrukturen aufzubrechen und eigenständige Werke zu erschaffen.

Hier gibt es viele Elemente, die aufgrund ihrer Vielzahl und vermeintlichen Widersprüchlichkeit eine Zuordnung unmöglich machen: ein märchenartiges Setting zu Beginn, ein zahmer Fuchs, das Thema Schönheit, auf den ersten oberflächlichen Blick wirkt dieses Buch wie ein verträumtes Märchen. Doch bald erkennt der Leser, dass hinter der verspielten Fassade der Tod lauert. Spannend wie ein Mystery-Thriller steigt die Spannung an, verursacht Gänsehaut, bietet Sex and Crime, Erotik und Gewalt bis hin zu einem Plot-Twist, der die meisten Leser sehr überraschen dürfte (Vielleser können möglicherweise damit rechnen, ich hatte es an einigen Stellen bereits geahnt, die Hinweise sind versteckt aber vorhanden). Die Hintergrundgeschichte um die entführten Drillinge birgt ein Drama, nach und nach erfährt der Leser, was hinter diesem Erzählstrang steckt und wie er mit der eigentlichen Geschichte zusammenhängt. Michaelis rüttelt an den Tabus ihrer Leser, manches Mal überschreitet sie die Grenze und schreibt sehr gewagte Szenen, welche den Leser verstören und aufrütteln.

Wer SOLANGE DIE NACHTIGALL SINGT liest, muss sich einstellen auf einen psychedlischen Trip voller Verwirrungen und Fallstricke. Am Ende wird zwar alles erklärt, doch nicht jedes Detail wird beantwortet. Wie auch schon in ihren anderen Büchern wird sie mit dem Ende die Leserschaft spalten: die einen finden es unbefriedigend und hätten sich mehr Antworten erhofft. Die anderen finden ihre eigene Interpretation, ihre eigenen Antworten. Ich war begeistert, für mich blieb nichts offen, und die von vielen Rezensenten angesprochenen Lücken kann ich für mich selbst sehr gut füllen und erklären.


CHARAKTERE

Konkret kann ich nur über Jari sprechen, alles andere wäre ein Spoiler. Es tauchen mehrere Personen auf, doch ihre Identität bzw ihre Existenz ist unklar. Traum, Illusion und Realität werden geschickt gemischt. Ich hatte versucht, einen klaren Überblick zu bekommen, indem ich während des Lesens einen Notizzettel hatte, auf dem ich mir die Namen, körperlichen Merkmale, Eigenheiten und Talente der jeweiligen Mädchen notierte. Das war sehr hilfreich, allerdings zweifelte ich immer wieder an meinen Notizen: waren das Logikfehler des Buches, oder hatte ich beim Notieren etwas verwechselt? Ich empfehle Euch, selbst Notizen anzufertigen, Euch von den Fehlern (?) aber nicht verwirren zu lassen, am Ende klärt es sich alles auf. Diese nicht greifbaren Charaktere machen einen großen Reiz in diesem Buch aus, es ist, als läge es dem Leser auf der Zunge, und doch kann er es nicht benennen.

Jari dagegen ist einfach zu beschreiben: er ist Mattis Freund, der Sohn seiner Mutter, Tischler-Lehrling seines Vaters. Über diese Eigenschaften definiert er sich zu Beginn, und seine Selbstfindung ist ein wichtiger Prozess. Denn im Wald gibt es keinen Matti, keine Mutter, keinen Lehrmeister, hier ist Jari nur er selbst. Doch wer oder was ist er? Und was möchte er werden, wenn er so lange im Wald bleibt? Im Trailer (den ich zum Glück erst nach der Lektüre ansah) wird leider bereits gespoilert, wer oder was Jari werden soll. Wer ohne Vorkenntnisse an das Buch herangeht, für den ist die drohende Ahnung gerade zu Beginn ein tragendes Element. Immer wieder gibt es kleine Momente, die darauf hinweisen. Als man es auf Seite 188 endgültig erfährt, wird die bisher nur empfundene Bedrohung plötzlich Realität, wird der verwunschene Märchenwald zu einer tödlichen Gefahr. Und Jari beschreitet diesen Weg offenen Auges, denn er ist nun ein anderer.


HANDLUNGSAUFBAU, ERZÄHLTEMPO

Das Buch besteht aus zwei Handlungssträngen: Jaris Erlebnisse im Wald bilden den Großteil der Erzählung. Dazwischen gibt es immer wieder Einschübe um die drei entführten Schwestern. Im Laufe der Geschichte werden diese beiden Stränge zusammengeführt, bis sie am Ende eine gemeinsame Handlung ergeben und als ein Faden weitergesponnen werden.

Das Erzähltempo ist eher beschaulich. Keine Actionszene, keine hektischen Momente. Langsam, fließend und gemütlich führt die Autorin den Leser in die geheimnisvolle Welt des Waldes ein. Genaugenommen gibt es anfangs keine klare Handlung, eher eine Aneinanderreihung von Szenen und Tagesabläufen. Mal stellen sie Apfelmost her, pflügen den kleinen Acker, musizieren sie, unterhalten sich, machen einen Spaziergang im Wald, hacken Holz und viele anderen alltäglichen Dinge mehr. Dennoch geht es im Buch stets vorwärts, sorgen kleine Andeutungen und Geheimnisse dafür, dass die Spannung konsequent steigt und niemals abbricht. Es gibt keine Längen, kein Wort, kein Absatz ist unnötig, alles bildet eine perfekte Einheit und vervollständigt das Gesamtbild am Ende.


SPRACHE

Antonia Michaelis ist eine Meisterin der zarten Andeutung. Es ist ihr möglich, schockierende Ereignisse in malerische Worte zu verpacken. Ein Tabubruch liest sich so zerbrechlich wie der Flügel der Nachtigallen, so weich wie der dunkle Samt der Kleider, so unschuldig wie der fallende Schnee. Dieser Widerspruch aus Worten und Inhalt ist der verstörende Kontrast, der das neueste Werk zu etwas Besonderem macht. Der Leser wird im Innersten gepackt, kann sich den schmeichelnden Worten nicht entziehen, nichtsahnend blickt er mit weit offenen Augen auf das Geschehen, und umso brutaler entfalten die dargebotenen Bilder ihre Wirkung.

Die Worte sitzen an den richtigen Stellen, sind perfekt gewählt, aus allen verfügbaren Synonymen das jeweils beste. Farben, Gerüche, Gefühle, sie alle haben eine Bedeutung und sorgen sowohl sprachlich als auch inhaltlich für eine dichte Atmosphäre.


ATMOSPHÄRE

Die Atmosphäre des Buches ist anfangs geheimnisvoll, mit Fortschreiten der Handlung wird sie immer bedrückender und beängstigender. Da die Autorin quasi "um die Handlung herum schreibt", nur andeutet statt beim Namen zu  nennen, ist die Bedrohung eher ein Gefühl als eine Gewissheit. Man spürt die Gefahr wie den berühmten Blick im Nacken, kann sie nicht zuordnen, bleibt in Lauerstellung, stets gespannt um vorbereitet zu sein. Wie bei einem guten Horrorfilm: je intensiver man die Handlung beobachtet, desto erschreckender ist ein unerwartet ins Bild springendes Objekt. Dies umzusetzen gelingt ihr mit Worten, wie es nur wenige Autoren vermögen.

SOLANGE DIE NACHTIGALL SINGT strahlt auch eine subtile Erotik aus, geeignet ab 16 Jahren aufgrund der Art der Darstellung, inhaltlich jedoch sehr erwachsen und erschreckend, ja sogar grenzwertig. Eine kleine Zungenspitze lugt zwischen den Lippen hervor, der Finger gleitet vielversprechend über einen Gegenstand, unschuldige Haut blitzt unter der Bluse hervor, Hände ertasten sich ihren Weg, die Silhouetten von Körpern bewegen sich wiegend im Dunkel. Ooh, der Leser hat Gänsehaut pur, teils aus Grusel, teils aus Lust, manchmal auch beides zugleich, und er kann sich nicht dagegen wehren, selbst wenn es ihm unmoralisch erscheint. Er ist eine Marionette, und die Autorin bewegt die Fäden, lässt uns hilflos zappeln und führt uns von einer Szene in die nächste.


FAZIT

Wieder hat Antonia Michaelis ein Meisterwerk erschaffen. Sie entführt uns in einen Wald, wo die Gesetze der Realität außer Kraft gesetzt werden und alles eine neue Bedeutung erhält. Düster, bedrohlich und doch feinsinnig, voller Zauber ist dieses Buch.

Wertung: 100 von 100 Fliegenpilze


SaschaSalamander 11.09.2012, 08.51 | (0/0) Kommentare | PL

Dreiviertelmond

Den Film habe ich schon vor einiger Zeit gesehen, Lovefilms. Jetzt liegt die DVD bei mir zu Hause, ich will sie einfach unbedingt im Regal haben. Eine Liebeserklärung an Nürnberg (naja, und auch Fürth, wo ein Großteil der Szenen entstand *hüstel*). Musik, Bilder, Inhalt, da geht einem das Herz auf :-)

Rezension wollte ich schreiben, hatte aber keine Zeit und fand nicht die rechten Worte (gerade, wenn ich etwas bewegend finde, fällt mir das eher schwer, das wars dann mit der sachlichen Rezension).

Heute kam die DVD bei mir an, und jetzt liegt sie bereits im Player, ich sehe mir die Extras an. Alleine schon dabei verzieht sich mein Mund zu einem breiten Grinsen. Da steckt ganz viel Herz drin, ganz viel Liebe. Ein warmer Humor, wunderschöne Bilder, perfekte Musikuntermalung und eine Menge fränkischer Charme. Ich liebe diesen Film :-)

SaschaSalamander 17.08.2012, 23.06 | (0/0) Kommentare | PL

Voll das Leben

gernt_leben_1.jpgVOLL DAS LEBEN ist mein erster Kontakt mit >Sandra Gernt< (jedoch nicht mein letzter, einige Titel liegen bereits auf dem Kindle und stehen im Regal), die sich mit homoerotischen Geschichten und Romanen bereits einen angesehenen Namen gemacht hat. VOLL DAS LEBEN ist diesmal jedoch kein Fantasy, kein historischer Roman, sondern eine realistische Erzählung.

Jan hat seinen pflegebedürftigen Lebensgefährten bis zu dessen Tod versorgt, sein Alltag wurde immer schwerer und grauer. Zusätzlich zu der belastenden Privatsituation musste er auch die spitzen Bemerkungen seines homophoben Arbeitskollegen Nick erdulden. Als sein Freund stirbt, ist Jan alleine, er gibt sich auf, und umso erstaunlicher ist es, als plötzlich Nick dasteht und sich um ihn sorgt. Doch Jan will das nicht annehmen, und so taucht er unter, geht seinen eigenen Weg, er will die Vergangenheit hinter sich lassen. Aber immer wieder ergeben sich Berührungspunkte zu seinem alten Leben, und Jan muss sich entscheiden, ob er zurück will.

Auffällig an dieser Geschichte ist vor allem, dass sie fernab der üblichen Gay-Romance agiert. Wer Romantik oder eine heile Welt sucht (denn trotz Konflikten sind die meisten Geschichten eine fiktive heile Welt), der ist hier falsch. In VOLL DAS LEBEN spiegelt sich genau das wieder: das nackte, blanke Leben in seiner Tristesse und Trostlosigkeit. Und das Wissen, dass es sich exakt so ereignet haben könnte, Jans Geschichte ist die Geschichte vieler Menschen, die durch den Tod eines Angehörigen gestrauchelt sind und dann auf der Straße landen, ähnlichen Lebensläufen bin ich schon sehr oft begegnet.

Im Grunde hätte man diese Geschichte auch schreiben können, ohne dass Jan schwul ist, es ist eigentlich eher nebensächlich, der Tote hätte auch seine Frau sein können, Nick hätte man ersetzen können durch Nicki, es hätte nichts an der Intention geändert. Und auch das ist etwas, das man selten findet: Bücher, in denen Homosexualität nicht Mittel zum Zweck (der Unterhaltung der weiblichen Leserschaft) ist, sondern einfach etwas, das so ist, wie es eben ist. Daher geht es hier auch nicht um Sexualität, Erotik oder Romantik, wenngleich die Geschichte natürlich auf ihre Weise dennoch ein Happy End hat (Nicks Motive dürften geübten Lesern vom ersten Moment an klar sein).

Obwohl die Geschichte sehr melancholisch ist, strahlt sie dennoch etwas Lebensbejahendes, Kraftvolles aus. Jan gibt nicht auf, der Leser versinkt mit ihm nicht in Schwermut. Harte Arbeit als Flucht vor dem Denken, der Vergangenheit, der Trauer, harte Arbeit als Chance, sich ein neues Leben zu verdienen, das am Ende auch gewährt wird. Und auch, wenn Jan sich einsam fühlt, weiß der Leser, dass im Hintergrund Menschen um ihn sind, die sich sorgen und kümmern, die ihm helfen, sich in dieser Arbeit zu verwirklichen. Mir sind Jan und seine neue "Familie" sehr ans Herz gewachsen, gerne habe ich die Zeit mit ihnen verbracht.

Eine Geschichte, die ihre Leser bewegt. Anders, traurig und wunderschön.

SaschaSalamander 24.07.2012, 08.52 | (0/0) Kommentare | PL

Gattaca

gattaca_1.jpgZukunft. Vincent ist "in-valid", ein Kind geboren aus der Liebe seiner Eltern. Behaftet mit Makeln wie Kurzsichtigkeit, Neigung zu Depressionen und Gewalt, vor allem aber mit einem 99 prozentigen Herzfehler. Sein großer Traum ist es, eines Tages ins All zu fliegen, dafür trainiert er und gibt alles. Doch in der Zukunft gibt es neben den "In-Valids" auch die "Valids", und sie sind die Elite, nur ihnen sind große Taten vorbestimmt, sie wurden gezüchtet aus den besten genetischen Vorgaben ihrer Eltern. Vincent besorgt sich auf illegalem Wege die Identität des durch Unfall an den Rollstuhl gefesselten Valids Jerome Morrows. Sein Plan geht auf, er ist in der Gruppe einer der besten Teilnehmer. Doch dann geschieht ein Mord, und auf der Suche nach Verdächtigen findet man die genetischen Spuren des In-Validen Vincent ...

Kurz nach Erscheinen sah ich den Film, und nun etwa 15 Jahre später erneut, er begeisterte mich heute ebenso wie damals. Der Film ist bekannt und schon recht alt. Trotzdem möchte ich kurz erzählen, warum ich diesen Film so schätze:

Er ist hochspannend auch ohne "Krachbumm". Die Frage nach dem wahren Täter ist dabei gar nicht einmal so wichtig, es ist kein Krimi. Viel entscheidender ist es, ob Vincent alias Jerome sich seinen Traum erfüllen wird und eines Tages zu den Sternen fliegt. Es gibt unzählige Hindernisse, doch er gibt nicht auf und arbeitet hart. Die Disziplin, die er dafür aufbringt, ist beeindruckend, und die Methoden zur Verschleierung seiner wahren Identität sind faszinierend. Er ist eine Identifikationsfigur, er verkörpert eisernen Willen und eine Zielstrebigkeit, die Mut macht. Von Geburt an zum Scheitern verurteilt, niemand glaubt an ihn, doch er will es schaffen. Immer wieder gibt es Momente, in denen ich angespannt den Atem anhielt. Jede sportliche Leistung könnte für ihn das Aus bedeuten, der intime Moment mit seiner Freundin eine Bedrohung, für alle möglichen und unmöglichen Situationen des alltäglichen Lebens muss er gewappnet sein und Körperzellen, Hautschuppen, Blutproben, Urinproben etc parat haben.

Nichts fliegt in die Luft, es gibt keine Verfolgungsjagden, es wird nicht geschossen, die Musik ist immer ruhig, mal jazzig, mal klassisch, der Soundtrack alleine ist hörenswert und geeigneter Hintergrund für einen entspannten Abend bei Kerzenlicht und Tee. Die Farben sind je nach Szene mal in warmen Sepiaton gehalten, weich wie Vincents Innere, seine Träume und Hoffnungen. Ein andermal blenden sie hell, blank und kühl, so steril und aseptisch wie seine neue Identität. Man spielt viel mit Licht und Schatten, sorgt auf diese Weise für zusätzliche Atmosphäre.

Womit ich wirklich nicht gerechnet hätte ist ein zusätzlicher Twist am Ende, der nicht einmal nötig gewesen wäre aber eigentlich auf der Hand lag. Ich ärgerte mich ziemlich, dass ich nicht darauf kam, denn die Hinweise am Anfang waren deutlich, und zudem war dieses Thema viel zu lange offen geblieben. Hervorragend, so liebe ich meine Bücher und Filme: intelligent geplottet, gut durchdacht und in sich stimmig.

Der Film befasst sich mit dem Thema der Eugenik. Schon 1997 war es wichtig, doch nun, 15 Jahre später, ist die damalige Dystopie bzw Science-Fiction schon einen Schritt weiter. Das menschliche Erbgut wurde immer besser erforscht, kurz vor Erscheinen des Filmes wurde Dolly erschaffen. Aktuell, im Juli 2012, soll ein neuer Bluttest auf den Markt kommen, der das Down-Syndrom bereits in einer frühen Phase der Schwangerschaft erkennen soll, die Legalität des Tests ist umstritten, immer komplizierter werden heute die Fragen der Ethik und die Forderungen der Wissenschaft. Wie weit ist Gattaca tatsächlich entfernt? Ohne ein einziges Mal den Zeigefinger zu heben, wird das Thema sehr gut dargestellt, und auch die Symbolik des Filmes weist darauf hin. Eine Wendeltreppe gleich dem menschlichen Erbgut im Haus des Validen, der zweite Vorname des Validen Eugene sowie viele weitere kleine Merkmale fallen dem aufmerksamen Zuschauer auf.
 
GATTACA ist vordergründig ein Science-Fiction bzw eine Dystopie, doch vielmehr ist es ein Drama, eine Gesellschaftskritik. Und vor allem ein Film der leisen Töne, dessen eindringliche Bilder lange im Gedächtnis bleiben ...

*****************

(Anmerkung: ich bilde mir ein, früher gab es einmal ein schöneres Cover, in warmen Brauntönen. Das aktuelle Cover wird dem Film nicht gerecht, finde ich, weil es ein Gefühl vermittelt, das nicht zur Atmosphäre passt. Aber egal, man hat sich wohl etwas dabei gedacht)

SaschaSalamander 13.07.2012, 08.15 | (0/0) Kommentare | PL

In Liebe, Brooklyn

schroeder_brooklyn_1.jpgINHALT, GENRE

Lucca ist gestorben. Seine Freundin Brooklyn ist nicht fähig, ihre Trauer zu bewältigen. Sein Bruder Nico läuft wortwörtlich davon, sucht seinen Trost im Laufsport. Ein Jahr nach dem Unfall verstirbt auch Gabe, war es eine Überdosis oder war es Absicht, weil auch er den Tod des Jungen nicht verkraftet hat? Nach Gabes Tod leidet Brooklyn unter immer schlimmeren Albträumen, gleichzeitig erhält Nico vom Geist seines Bruders den Auftrag, Brooklyn zu helfen. Werden die beiden in ihrem Kummer zueinanderfinden?

Obwohl es darum geht, wie Nico und Brooklyn zueinanderfinden und es ein Buch voller Sanftheit ist, ist es kein typischer Roman um Jugendliebe. Eher würde ich das Buch im Bereich Drama und Entwicklung einordnen. Und obwohl Luccas Geist indirekt darin vorkommt, sehe ich es nicht als Fantasy, dieser Aspekt ist vielmehr ein weiteres Symbol der Autorin, hier stellvertretend für die Verbundenheit zwischen Nico und seinem Bruder.


COVER

Lasse ich Cover und Gestaltung normalerweise außen vor, so ist es hier unbedingt erwähnenswert. IN LIEBE BROOKLYN ist im Format etwa so groß und breit wie eine kleine Geldbörse, passt also auch gut in die Hosentasche. Das Cover in zartem Rosa und Grün glitzert leicht metallisch, springt sofort angenehm ins Auge. Das Papier ist sehr dünn, wie man es von Minibüchlein (vor allem Bibel, aber auch andere) kennt. Das sagt natürlich alles noch lange nichts über den Inhalt des Buches, aber es wirkt schon vor dem Lesen sehr ansprechend, wie ein kleines Tagebuch, es lädt vor allem weibliche Leser ein, es aufzuschlagen, sich in den Worten darin zu verlieren.


SPRACHE, GESTALTUNG, AUFBAU

Das Buch ist klein und dünn, die Seiten sind auch nicht wie gewohnt komplett bedruckt. Statt dessen ist das Buch in freier Versform geschrieben. Es reimt sich nicht, sieht jedoch hübsch aus und vermittelt Poesie, Lyrik. Dennoch ist die Sprache nicht einem Gedicht entsprechend gewählt oder gehoben, es liest sich normal und flüssig wie jedes andere Buch dieser Art auch. Vielmehr erinnert es mich an die Tagebucheinträge junger Mädchen, die ihren Gedanken auf diese Weise Form verleihen. Der Zielgruppe des Buches entsprechend ist das eine wunderschöne Idee, für mich hätte es das allerdings nicht gebraucht, mir ist die Aufmachung eines Buches und die Gestaltung der Textform egal, ich bin da ganz pragmatisch. Trotzdem, eine hübsche Idee, die Blicke auf sich zieht und gefällt. Mir ist aktuell kein anderes Buch bekannt, das in dieser Form veröffentlicht wurde.

Es liest sich insgesamt sehr flüssig, wie ein normaler Roman. Was mir besonders gefällt ist der Subtext. Die Geschichte wird hier zum geringsten Teil durch Worte erzählt als durch das, was ungesagt bleibt. Das Buch enthält sehr viele Symbole, und man merkt, wie im Laufe des Buches immer häufiger schöne, angenehme Symbole auftauchen - auch ohne dass Brooklyn erwähnt, dass es ihr besser geht, erkennt der Leser ihre langsam wieder aufkeimende Lebensfreude alleine anhand kleiner Symbolbilder. So spielen Comics zu Beginn eine sehr wichtige Rolle, werden immer seltener, bis Brooklyn es eines Tages ganz vergisst. Dafür kommen die Blumen wieder in ihr Leben, beginnt sie das Laufen. Auch Hunde zu Beginn als Sinnbild für Vergänglichkeit und Tod, Zwang und Unstimmigkeit, bis sie am Ende nach und nach zu einem Sinnbild des Lebens und der Freude, der freien Entscheidung und des Miteinanders werden. Auf diese Weise erzählt die Autorin die Geschichte auf hintergründige Weise, es gibt sehr viel zu interpretieren, assoziieren, es fällt leicht, sich einfach fallenzulassen und ganz dem Fluss der Handlung zu folgen.

Mit Fortschreiten der Handlung ändert sich nicht die Sprache, jedoch die Art und Form der Texte sowie deren Zusammenhang. Anfangs  liest man lediglich die Tagebucheinträge von Brooklyn und Nico sowie Brooklyns Briefe an den verstorbenen Lucca. Ein Mail von Nico an Brooklyn ist der Wendepunkt: bis dahin verfolgte man die Leben der beiden parallel, nun beginnt es sich zu verstricken, oft spielen sie sich gegenseitig den Ball zu. Nico erzählt den Beginn eines Treffens, Brooklyn beendet es, Nico reflektiert es anschließend. Die Briefe an Lucca werden seltener. Lisa Schroeder ist es in der Tat gelungen, ein durch und durch in sich stimmiges Buch zu schreiben, bei dem das Äußere, die Sprache, der Aufbau und die Charaktere eine wundervolle Einheit bilden.


CHARAKTERE

Brooklyn und Nico gehen unterschiedlich mit ihrer Trauer um. Als Leser erlebt man beide sowohl von außen (aus Sicht des jeweils anderen betrachtet) als auch von innen (durch ihre Tagebucheinträge). Zwei grundverschiedene Menschen, die in kleinen Schritten zueinanderfinden. Nico ist nach außen hin locker, er trainiert, arbeitet, erfüllt seine Pflichten, doch in ihm nagt die Trauer, er fühlt sich als Sohn vernachlässigt, gibt sich stark doch fühlt sich schwach. Brooklyn dagegen ist innen wie außen zerbrechlich, sie weint, ist hilflos und ist kurz davor, sich aufzugeben. Doch der Leser wird von Selbstmitleid und Gejammer verschont, vielmehr sind es melancholische Gedanken, denen man gut folgen kann.


FAZIT

IN LIEBE BROOKLYN überzeugt durch sein ungewöhnlich hübsches Aussehen ebenso wie durch seinen filigranen Text und die hervorragend aufgebaute Geschichte. Ein in sich absolut stimmiges Buch, hervorragend geeignet für einen Nachmittag mit Tee und Keksen.

SaschaSalamander 07.07.2012, 14.20 | (0/0) Kommentare | PL

Unland

INHALT

Franka ist neu im Haus Eulenruh. Ein Erziehungsprojekt, das die Sozialpädagogen Vera und Andreas Kämpf führen. Es fällt ihr nicht leicht, sich in die Gruppe einzufügen, doch in den Zwillingen Lizzie und Ann findet sie bald Freunde, und auch Ricardo ist gar nicht so übel. In der Schule ist sie aufgrund ihres burschikosen Auftretens und ihrer eigenwilligen Art von Beginn an ein Außenseiter. Als Bewohnerin von Eulenruh hat sie sowieso keine Chance, denn das Dorf beäugt das Projekt mit kritischem, unwilligem Blick. Bald geschehen seltsame Dinge, Franka fühlt sich beobachtet, und die Stromausfälle im Dorf häufen sich. Dann ist da noch das Ruinengelände namens Unland, das von einem gefährlichen Zaun geschützt wird und zu dem Franka auf ihre Fragen nur düsteres Schweigen erntet. Die Ereignisse spitzen sich zu, und bald wird aus dem seltsamen Gefühl eine reale Bedrohung ...


CHARAKTERE

Die Charaktere finde ich neben der Sprache das Besondere, was dieses Buch ausmacht. Geschildert aus der Perspektive von Franka, hat der Leser in sie natürlich den größten Einblick. Doch auch die anderen Figuren werden sehr gut vorgestellt und schrittweise immer klarer. Alle, die in Eulenruh leben, haben eine bewegte Vergangenheit. Sie sind Außenseiter und tragen ihre eigene Last, ihr eigenes Geheimnis. Zu Beginn erscheint vieles, was sie tun, ungewöhnlich, doch Toleranz wird in der Gruppe großgeschrieben, und je besser Franka die anderen kennenlernt, desto mehr fühlt sie sich ebenso wie der Leser zu ihnen hingezogen. Selbst die anfänglichen Unsympathen werden mit der Zeit zu Sympathieträgern. Anders sieht es in der Schule aus, wo Franka von Beginn an gemobbt wird. Die Mitschüler bleiben bis auf eine Freundin dort eher blass, sie dienen als Statisten mehr ihrer jeweiligen Rolle als einer ausführlichen Charakterstudie.

Was mir gefällt ist, wie nebenbei Themen eingewoben werden, ohne sie zum Hauptthema das Buches zu machen. Jeder Charakter hat seine eigene Persönlichkeit, die Themen reichen von Kleinkriminalität (z.B. Graffity) über Homosexualität, Schulproblemen, virtueller Realität, Mobbing hin zu Mord und Missbrauch durch die Eltern. Die Autorin urteilt nicht, sie erzählt. Auf diese Weise vermittelt sie ein sehr glaubwürdiges Bild von ihren Figuren, die täglich darum kämpfen, nicht mehr als Außenseiter zu gelten, etwa Matthias mit Wut und Aggression, Lizzie mit ihren Verführungskünsten, die Fünfjährigen mit Schweigen, Franka mit Kämpfernatur und Tatendrang.

 
SPRACHE

Wie bereits erwähnt, ist auch die Sprache des Buches etwas ganz Eigenes. Das Buch ist in der Ich-Form aus Frankas Sicht geschrieben, und Franka ist eine Berliner Göre. Der Schreibstil ist also zwar einem hochdeutschen Buch entsprechend, dennoch fließt hier und da unauffällig eine falsche Berliner Grammatik ein, und natürlich hat Franka keine Hemmungen, auch Wörter wie Vollhorst, Scheiße und ähnliche in den Mund zu nehmen. Es ist als Jugendbuch absolut geeignet, keinem Leser werden vor Scham die Ohren abfallen, das Maß ist sehr gut gehalten, niemals werden die Ausdrücke zuviel oder zu unangenehm.

Auch verwendet die Autorin sehr viele Metaphern und Personifizierungen, die dem Buch Leben und Atmosphäre verleihen. Obwohl das Buch sehr dicht gefüllt ist mit diesen Stilmitteln, wirkt es nicht überladen. Die Bilder fügen sich in das Bild, der Text ist ein großes Ganzes, in dem nichts Unpassendes hervorsticht. Die Autorin gehört für mich zu den wenigen, denen es tatsächlich gelingt, >mit Worten zu malen<. Sie braucht keine Adjektive, um ein Gefühl zu beschreiben, sie versetzt den Leser selbst in die Lage des Protagonisten.

Durch das Malen entsteht eine tiefe Symbolik, die in dem Buch auf Kommendes verweist. Schon der Traum Frankas in der ersten Nacht ist sehr bildgewaltig. Sie ist umgeben von hohem Gras, es wächst, immer höher wächst es, droht sie zu verschlingen. Die Natur erobert ihr Reich, der Mensch nur ein unbedeutender Teil der Erde, Bedrohung für Franka lauert in harmlosen, sie alltäglich umgebenden Dingen, nicht einmal das beständige, verlässliche Wachsen und Wandeln der Natur bietet noch Sicherheit. Der düstere See, der gleich einer zähen Ölmasse die darin Schwimmenden umschließt, und die Sonne verreckt oben in den Baumkronen, kein Licht dringt hinab auf die Lichtung. Es ist so still wie im Inneren einer toten Uhr. Eine tote Uhr, das impliziert das Ende der Zeit, das Ende dessen, was unantastbar scheint, das Ende aller Dinge. Ein Kleid wird dreckig, das Kleid einer bis dahin unangetasteten, strahlenden Figur, doch auch sie bekommt Flecken, ihr Glanz erlischt. Oh, ich könnte in dieser Sprache versinken!


GENRE

Schön finde ich, wie Antje Wagner sich geschickt den Schubladen der gängigen Genres entzieht. Statt dessen bringt sie Elemente verschiedener Bereiche in ihr Buch ein, ohne jedoch alle Ansprüche zu erfüllen. Es gibt Fantasyelemente (wobei diese stark von der Interpretation abhängen, reines Fantasy ist dieses Buch keinesfalls), es gibt Thrillerelemente (die Spannung, das drohende Unheil, die Verbrechen, aber dennoch kein Thriller), es beinhaltet Teile eines Entwicklungsromanes und einer Charakterstudie (was jedoch sich stark in die Mystery-Elemente und den Thrill einfügt und eher ein Teil des Ganzen als ein eigenes Genre darstellt). Nein, das Buch braucht kein Genre. Es steht für sich, es schildert die Schicksale mehrerer Jugendlicher und lässt den Leser einen intimen Blick auf das Innere der Protagonisten werfen.


SOUNDTRACK

Im Buch wird sehr viel Bezug zur Musik genommen, die Franka hört, die Texte fließen in den Roman ein, tragen ihre eigene Bedeutung in sich. Die jeweiligen Titel werden von der Autorin am Ende nochmals aufgezählt, sodass der Leser sich, wenn er möchte, seine eigene CD zum Buch erstellen kann oder auch auf neue Titel aufmerksam wird. Eine nette Idee und ein schönes Goodie am Schluss.


NACHGESCHMACK

Ein einziges Problem hatte ich mit dem Buch: das Ende. Ich habe es einige Tage auf mich wirken lassen. Mit dem Ergebnis, dass das Buch mir noch immer sehr gefällt und ich es absolut empfehlen kann, weil es einfach etwas Besonderes ist. Trotzdem wurde der bis kurz vor Ende uneingeschränkte Lesegenuss etwas getrübt, und mir hing das ziemlich nach. Im Internet hat die Autorin bei >Literella< dazu Stellung genommen.

Ich finde die Erklärung sehr einleuchtend. Und im Hinblick auf die Starke Symbolkraft des Buches ist das durchaus nachvollziehbar, sodass ich jetzt mit diesem Wissen auch für mich abschließen kann und sagen "eine tolle Idee, dieser Twist am Ende". Von alleine, gebe ich allerdings zu, wäre ich nicht darauf gekommen, mir war dieser Bruch zwischen "Real" und "Fantasy" (so nenne ich es, um nicht zu spoilern) zu heftig und ließ mir zu viele Fragen offen. Aber, wie gesagt - ein Ende, bei dem man zwischen den Zeilen lesen muss und die Dinge keinesfalls so sehen darf, wie sie scheinen. Etwas, das während des kompletten Buches gefordert wird und den Leser am Ende dann doch unter Umständen überfordert. Trotzdem - ich würde es auf jeden Fall empfehlen, Ende hin oder her!


FAZIT

Der Autorin gelingt es, mit ihren Worten leuchtende Bilder zu malen. Handlung und Äußerlichkeiten treten in den Hintergrund, um Raum zu schaffen für Symbolkraft und Innensicht. UNLAND ist ein Buch, das nach der Lektüre noch lange nachwirkt. 

SaschaSalamander 22.05.2012, 08.43 | (0/0) Kommentare | PL

Everlasting

rahlens_everlasting_1.jpgVORAB

Das Buch trägt einen schnulzigen Titel. Hat ein rosafarbenes Cover mit Prägung, darauf sieht man einen Parfumflacon. Und es handelt von Romantik. Stell Dir vor, Du verliebst Dich. Stell Dir vor, sie erwidert Deine Liebe. Aber in Deiner Welt gibt es keine Liebe. Und auch kein Ich. Wie sagst Du "Ich liebe Dich". Nein, ohne Außeneinwirkung würde ich ein Buch mit diesem Klappentext nicht anfassen. Aber zum Glück greife ich manchmal trotzdem zu Titeln, die mich eigentlich nicht interessieren. Zum Beispiel, weil es mir persönlich empfohlen wird oder ich positive Rezensionen lesen. In diesem Fall eine Spontanentscheidung, die ich mir nicht erklären konnte, manchmal greife ich einfach zu Büchern, die nicht mein Genre sind, um eben mal über den Tellerrand zu blicken. Als es dann im Regal stand und ich es griff, dachte ich mir "na toll, warum habe ich mir das überhaupt geholt. Aber jetzt muss ich durch. Wenigstens mal reinlesen, weglegen kann ich es immer noch". Tja, so kann man sich täuschen. Und deswegen bin ich froh, dass ich mir manchmal auch Bücher außerhalb meines Beuteschemas greife. Denn Cover, Titel und Werbung passen hervorragend zum Buch, sind aber dennoch eine starke Reduktion eines in sich sehr vielschichtigen und clever durchdachten Werkes.

Gerne würde ich sehr, sehr viel mehr über das Buch schreiben, es ist in diesem Fall wieder einmal mehr eine Analyse denn eine Rezension. Trotzdem keine Angst, ich spoilere nicht, auch wenn es mir schwerfällt ;-)


INHALT

Finn lebt im Jahre 2264, er arbeitet als Historiker und soll nun das Tagebuch eines jungen Mädchens aus Berlin um 2003 lesen. Er ist recht enttäuscht, hatte er doch auf ein bedeutendes Werk gehofft statt auf die pubertären Gedanken eines Kindes. Doch er verliert sich immer mehr in dem Werk, fühlt sich dem Mädchen nahe, beginnt sich zu verlieben. Und dann, im Rahmen einer geheimen Zeitreise, steht er ihr eines Tages gegenüber ...


CHARAKTERE

Die Charaktere bleiben anfangs recht blass, und ich wunderte mich sehr darüber, wie wenig man über einzelne Figuren erfuhr. Dies war etwas, das auf den ersten 100 Seiten dazu führte, dass mir das Lesen recht schwer fiel und ich sehr viele Verhaltensweisen nicht nachvollziehen konnte. Da die Geschichte mich dennoch interessierte, las ich weiter. Leider kann ich nicht erklären, was es damit auf sich hat, es wäre ein zu heftiger Spoiler. Aber soviel kann ich sagen: es hat seine Gründe, warum die Autorin einige Kniffe anwendet, wenn sie das Äußere das Protagonisten beschreibt oder warum man nichts über die Motive anderer wichtiger Figuren erfährt. Es würde mich reizen, das Buch direkt im Anschluss ein zweites Mal zu lesen, um es mit dem Wissen um den Twist am Ende mit anderen Augen zu betrachten.

Finn war mir vom ersten Moment an sympathisch. Er lebt in einer Welt, die das Individuum zurückstellt und Emotionen als hinderlich sieht. Entsprechend ist die Distanziertheit des Buches angemessen. Und immer wieder blitzt in kleinen Momenten hervor, dass Finn ein Träumer von kindlicher Neugier und Naivität ist. Der Spagat zwischen "emotional distanziert" und "verträumt, verspielt, verliebt" ist sehr überzeugend gelungen.


SPRACHE, ERZÄHLSTIL

Die Sprache ist stellenweise ein wenig ungewöhnlich, erklärt sich jedoch auch nach dem Twist. Im ersten Viertel stolperte ich über einige Formulierungen, es lief noch nicht wirklich flüssig. Dennoch hatte ich aufgrund des Aufbaus (mehr dazu gleich) das Gefühl, dass es eines der Bücher ist, bei denen ich erst einmal abwarten muss.

Der Erzählstil ist sehr ungewöhnlich, man erfährt viel über den Protagonisten Finn, dennoch bleibt er erstaunlich distanziert. Man erfährt viel über die zukünftige Welt, allerdings erschließt es sich eher aus dem Zusammenhang als erklärt zu werden, manches bleibt offen. Die Protagonisten sprechen von sich in der dritten Person, das Wort "ich" wird vermieden, diese Idee gefiel mir sehr gut. Nachdem ich mich jedenfalls an einige Formulierungen und Redensweisen gewohnt hatte, las es sich sehr flüssig und angenehm.

Da das Buch in der Zukunft spielt, gibt es sehr viele fiktive Begriffe. Zugegeben hätte ich mir eine Art kleines Glossar gewünscht, da einige Abkürzungen zwar zu Beginn erklärt wurden, aber es waren doch sehr viele, sodass ich nach einiger Zeit den Überblick verlor. Andererseits ist es angenehm, wie flüssig die Begriffe in den Text eingebunden sind, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Anfangs empfand ich das als Overload, da nahezu jeder Satz gespickt ist mit Formulierungen und Begriffen. Doch auch hier: es gehört zum Buch, es ist der Alltag des Protagonisten und ist in sich absolut stimmig, wenn auch ein wenig gewöhnungsbedürftig.

Die Erzählperspektive und die Sprache ist der Punkt, über den ich gerne am meisten schreiben würde. Doch ohne Spoiler ist dies leider nicht möglich, deswegen nur soviel: die Autorin hatte eine Idee, die sie kreativ und gekonnt umgesetzt hat. Ich musste schmunzeln, weil ich selbst nicht darauf gekommen bin, was es mit manchen Elementen des Erzählstils auf sich hatte, und weil ich mich im Anschluss freute, dass Ihr dieser Kunstgriff so gut gelungen war. Die Szene, in der alles erklärt wird, hat mich sehr bewegt und ist eine der entscheidenen Momente des Buches.



AUFBAU, ERZÄHLTEMPO

Was mir von Beginn an außerordentlich gefiel: man merkt sofort, dass die Autorin sorgfältig geplottet hat. Bei manchen Büchern fragt man sich, ob der Autor überhaupt einen Plan hat, wie sich das Buch weiterentwickelt, da es viele langgezogenen Szenen oder ungeklärten Sprünge gibt. Hier jedoch erkennt man klar, dass Holly-Jane Rahlens eine klare Vorstellung hatte, wie die Charaktere sich entwickeln, welche Ereignisse sie erleben und wie die Geschichte aufgebaut ist. Immer wieder gibt es kleine Häppchen und Andeutungen, mehrfach kleine Aha-Effekte und einmal sogar einen sehr markanten Twist. Ich mag es einfach, wenn ich das Gefühl habe, dass der Autor sich Mühe gemacht hat und den Leser gekonnt in die Irre führt, um ihm kurz darauf den richtigen Weg zu zeigen.

Auch das Tempo ist dadurch perfekt getimed: keine Längen, keine unnötige Hektik, das Erzähltempo ist stets in einem gleichmäßigen Fluss. Der Anfang zugegeben zieht sich ein klein wenig. Allerdings habe ich im Web eine Leserunde bei Brigitte.de gefunden, wo ich den Grund dafür las: die Autorin wollte zu Beginn nicht verraten, dass es um eine Zeitreise geht, der Leser sollte ebenso wie der Protagonist an ein Computerspiel denken. Der Verlag jedoch pries das Buch unter der Thematik Zeitreise an. Durch die Erwartung an Zeitreise und Liebe fragt man sich also ständig, wann nun das Buch endlich "auf den Punkt kommt", auch ich habe mich gefragt, warum so ein langes Vorspiel notwendig sein muss. Im Nachhinein, nach dem Lesen: ja, dieses Vorspiel ist notwendig, es gehört zur Geschichte und hätte nicht anders sein dürfen für mein Empfinden. Doch ich hätte es schön gefunden, wenn man den Aspekt Zeitreise nicht vorweggenommen hätte, sodass man dem Lesefluss unvoreingenommen folgen kann.


ZEITREISE, SCI-FI

Als Zeitreise-Fan muss ich sagen, dass ich die Umsetzung gelungen fand. Klar können Kritiker dies oder jenes mokieren, aber ich denke mir, da wir das noch nicht getestet haben, können wir viel theoretisieren und sagen "unrealistisch", wer will das schon prüfen? Ich fand die Idee jedenfalls sehr schön geschildert, zumal es hier nicht um den wissenschaftlichen Aspekt der Zeitreise ging sondern diese eher eine faktische Gegebenheit darstellt, durch die jene Bindung zwischen Finn und Eliana möglich wird.

Unsere Welt im Jahre 2011 sowie auch die Jahrezehnte davor sind für uns etwas Selbstverständliches. Die Autorin wirft jedoch einen zukünftigen Blick auf unsere Welt, bringt viel Humor und auch verdeckte Kritik dabei ein. So wundert sich Finn über einen zerlumpt aussehnden Mann, der Geld haben möchte aber nichts verkauft. Ebenso wundert er sich darüber, warum er für den Kauf eines Mobiltelefons an einen Kaffeehersteller verwiesen wird. Und es kommt auch manchmal ein wenig Nostalgie auf. Besonders die Szene, in der Eliana und ihre Schwester Finn zeigen, wie man Hubba Bubba erst einmal weichkauen muss, bevor man ihn zu großen Kugeln blasen kann, hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Elianas Gedanken im Tagebuch ließen mich an meine eigene Jugend denken, die Autorin hat das Lebensgefühl der 13jährigen gekonnt eingefangen.

Spannend zu lesen ist auch, welche Elemente unserer heutigen Welt in diesem Buch überlebt haben, was augestorben ist und wie die zukünftigen Menschen damit umgehen. Gebäude und Städte, die die Katastrophe überlebt haben, Redewendungen die übernommen oder abgewandelt wurden. Trommelnde Mönche scheinen die Zeit zu überleben, das sind kleine Randnotizen, die dem Buch Lebensnähe und Unmittelbarkeit verleihen.

Durch das Aufeinanderprallen der zwei Kulturen kommt es oft auch zu witzigen Momenten. Woher soll ein Mensch der Zukunft auch wissen, dass man Kaugummis nicht herunterschluckt oder dass man von Greifswald nach Berlin keine Austauschstudenten schicken würde. Einige Male musste ich herzlich lachen, mir gefielen die Ideen der Autorin, sie hat einen liebenswerten und kindlich-unschuldigen Blick auf unsere Zeit geworfen.


LOKALKOLORIT

Das Buch spielt in Berlin. Als Nicht-Berliner, der jedoch schon sehr oft zu Besuch dort war, habe ich vieles wiedererkannt und hatte ein klares Bild vor Augen. Als später geklärt wird, was es mit dem Gebäude des OZ-Institutes auf sich hat, war das einer der großen Aha-Momente, und ich ärgerte mich fast, dass ich nicht selbst darauf gekommen war. Überhaupt schafft Rahlens ein deutliches Bild der Gegenwart, das sie teils mit Änderungen und teils 1:1 in die Zukunft übernimmt. Ich war beeindruckt von der Präzision, mit der sie manche Orte umriss, ohne sich dabei in endlosen Beschreibungen zu verlieren. Genau richtig, um Lokalkolorit zu versprühen aber Ortsfremde nicht zu langweilen.


FORTSETZUNG

Das Buch ist in sich abgeschlossen, ich war zufrieden am Ende. Nur eine Sache blieb offen. Doch es muss nicht alles geklärt werden für mich, zumal das Buch es eigentlich gar nicht zulässt, einige Dinge zu klären. Dafür wäre eine andere Erzählweise erforderlich gewesen, und das hätte dem Buch seinen Charme genommen. Dennoch gibt es sehr viele Elemente im Buch, die eine Fortsetzung ermöglichen, die Autorin hat sich da einige Hintertürchen gelassen. Obwohl alles erklärt wird, wäre es sehr schön, mehr über die Hintergründe zu erfahren. Ich bin ein Freund in sich geschlossener Bücher. Doch in diesem Fall würde ich mich sehr freuen, wenn Rahlens die Ideen, die zusätzlich in ihr schlummern, nun ebenfalls zu Papier bringt. Denn es ist offensichtlich, dass beim Plotten sehr viel mehr Gedanken in ihrem Kopf waren, als sie tatsächlich im Buch unterbringen konnte. Und die will ich bitte lesen! :-)


COVER

Manchmal wundere ich mich auch ein wenig über Vermarktung. Gut, das Cover spricht die Hauptzielgruppe an. Dennoch stößt es auch manche Leser ab. Ich kenne viele, die das Buch großartig fänden, es aber aufgrund der Gestaltung nicht beachten würden. Es ist schon arg kitschig geworden, finde ich. Mir persönlich hätte ein anderes Motiv gefallen, das für das Buch ebenso bedeutsam ist wie das Everlasting-Parfum: ein schwarzes Kästchen, leicht geöffnet, dazu ein Füllfederhalter und ein Bernsteinring. Ich denke, das wäre neutraler gewesen und ebenso ein Eye-Catcher. Es wirkt ernsthafter, geheimnisvoller und hätte meiner Ansicht nach den Inhalt besser getroffen, da es hier vor allem um Tagebücher, das Schreiben von Hand und die Wirkung von Sprache und Text geht. Zumal ein von Hand geschriebener Text etwas sehr Sinnliches sein kann und dies die Romantik auch ohne Rosa transportiert hätte.


FAZIT

EVERLASTING ist ein Buch, das weit mehr zu bieten hat, als Titel und Cover vermuten lassen. Zeitreise, Romantik, Entwicklungsroman, Science-Fiction, Dystopie, Dramatik, Parallelwelten, Gesellschaftskritik, Nostalgie, Tagträume und vieles mehr erwarten den Leser, der sich von Holly-Jane Rahlens entführen lässt. Komplexe Themen in einfachen Worten, geeignet sowohl zum Diskutieren wie auch zum Träumen. Nicht nur eine Empfehlung, sondern ein MUST HAVE!

SaschaSalamander 08.05.2012, 08.56 | (0/0) Kommentare | PL

Schattengesicht

wagner_schattengesicht_1_1.gifDas Buch der Autorin Antje Wagner erschien 2010 bereits im Querverlag Berlin und wird nun von Bloomsbury neu aufgelegt, zwar mit neuem Cover, ansonsten jedoch unverändert und komplett übernommen.

Zum Inhalt ist es schwer, etwas zu sagen. Denn die Geschichte wird rückwärts erzählt. Es beginnt damit, dass der Leser mit Milanas Inhaftierung und ihrem Tatvorwurf konfrontiert wird: Die junge, unscheinbare und stille Frau ist angeklagt des mehrfachen Mordes. Rückblickend wird in einzelnen Episoden geschildert, wie Milana und Polly auf der Flucht versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. Doch wo sie auch sind, endet es in einem tragischen Unglück oder gar Mord. Woran liegt es, dass die Menschen so seltsam auf Polly reagieren? Und warum gerät Milana immer wieder in solch schrecklichen Situationen?


AUFBAU

Auch der Aufbau ist schnell beschrieben: die ersten Seiten sind der Ist-Zustand, die Gegenwart. Dann führt die Autorin die Leser schrittweise in die Vergangenheit. Das erste Ereignis fand zwei Monate vor der Inhaftierung statt, das nächste Kapitel springt bereits eineinhalb Jahre zurück, dann fünf Jahre, und zuletzt sogar elf Jahre bis in die Kindheit der Protagonisten. Das letzte Kapitel spielt 14 Jahre in der Zukunft und ist als Epilog zu verstehen, welcher die Geschichte schließlich abrundet und alle Fäden zusammenführt.


ERZÄHLWEISE, GENRE

Das ist eine sehr schöne Idee. Nicht das erste Buch dieser Art, doch die Idee ist noch angenehm unverbraucht und somit eine Abwechslungs zu den sonst üblichen Erzählstrukturen. Was ebenfalls auffällt: das Buch ist nicht leicht einzuordnen. Für ein Drama ist es beinahe etwas zu nüchtern erzählt. Für einen Thriller fehlt der "Thrill", die Action. Für ein Mystery-Buch fehlen ein paar Fantasyelemente. Ein Krimi ist es nicht, denn die Verbrechen sind zwar von Bedeutung aber nicht Kern der Geschichte und entsprechend unspektaktulär beschrieben. Ich empfinde es als eine Mischung aus Roadmovie und Entwicklungsroman mit psychodramatischen Elementen, aber da wird wohl jeder Leser seine eigene Vorstellung haben, wo er das Buch einordnet, es gibt  sehr viel Raum für Interpretationen. Und genau das gefällt mir daran: ein Buch, das zum Nachdenken anregt statt alles sofort klar auf der Hand zu präsentieren. Ein spannendes Experiment, das hier präsentiert wird.


SPRACHE

Das Besondere an SCHATTENGESICHT ist für mich die Sprache. Schnörkellos, schlicht und absolut klar. Das einzige, was sich abhebt und dann sehr markant daherkommt, sind die Metaphern und Personifikationen. Die Handlung selbst ist egal, doch die Ereignisse, die Gegenstände werden lebendig, entwickeln ein Eigenleben. Auf diese Weise wird ein sehr faszinierendes Bild der Erlebniswelt der Protagonisten entworfen: die Mitmenschen, der Beruf, der Alltag, das alles scheint weit weg, unpersönlich und unwichtig. Nicht einmal die Protagonisten selbst werden charakterisiert sondern bleiben verschwommen und für den Leser nicht einsehbar.

Die Umgebung dagegen wird präzise beschrieben. Das Wetter, die Natur, die Häuser, sogar der Schimmel an den Wänden und die fehlenden Wohnungstüren werden so lebendig, als wären sie die Hauptfigur. >Hier< habe ich einige Beispiele notiert, es entsteht beim Lesen eine dichte Atmosphäre von Todessehnsucht und Bedrohung. Der Leser kann sich nicht sicher fühlen, denn er weiß nicht, ob nicht die nächste Tür erwacht und ihn verschlingt, ob nicht die Pflanzen an den Wänden lebendig werden und ihn umschlingen, ersticken. Nirgends sind Milana und Polly sicher, überall droht Gefahr, und doch ist diese Gefahr faszinierend, fühlt sich Milana davon angezogen, zieht es sie immer wieder zu solchen Menschen, an solche Orte.

Die Kapitelüberschriften lauten z.B. "Mintgrün", "Nummer 13", "Irrtum", "Hitze". Knappe Worte, sofort ein Bild im Kopf, besetzt mit vielen persönlichen Assoziationen und von symbolischem Charakter, somit quasi stellvertretend für den gesamten Stil des Buches.

Durch die Schlichtheit der Sprache gewinnt das Buch eine Anmut und Fragilität, spiegelt sich der Zustand der beiden Hauptfiguren wieder, die verletzlich und ohne aufwändigen Schmuck von einem Ort zum anderen ziehen. "Erotisch" wäre zu weit gegriffen, das Buch ist nicht erotisch, doch der Schreibstil ist es stellenweise: er berührt sanft den Leser, verursacht eine wohlige Gänsehaut, ein Schauern, ein Verlangen nach Mehr. Oft fragte ich mich, wann Milana und Polly sich küssen würden, wann Milana sich in einen Kollegen verlieben würde, weil ich stets das Gefühl habe, es müsste auf den nächsten Seiten nach soviel Prickeln und Anspannung nun eine erotische Szene folgen. Das mag hochtrabend klingen und dem Inhalt des Buches auch nicht angemessen, dennoch war dies eine Empfindung, die mich beim Lesen immer wieder überkam.


FAZIT

SCHATTENGESICHT ist ein Buch, das man schwer beschreiben kann. Man muss es lesen, spüren, erleben, um den ganz besonderen Reiz der Geschichte zu erfahren. Deswegen eine klare Leseempfehlung für alle Bücherfreunde, die gerne zwischen den Zeilen lesen :-)

SaschaSalamander 30.04.2012, 09.29 | (0/0) Kommentare | PL

Tote Mädchen lügen nicht

asher_totemaedchen_1.jpgTOTE MÄDCHEN LÜGEN NICHT. Hannah sagt die Wahrheit, sie hat nichts mehr zu verlieren. Sie will sich selbst töten. Und bevor sie dies tut, nimmt sie 13 Kassetten auf. Auf jeder davon schildert sie eine Etappe, benennt eine einzelne Person. Niemand trägt die Last für ihren Suizid auf seinen Schultern, doch eine Abfolge von Ereignissen und das Zusammenwirken vieler einzelner Faktoren und Personen führte dazu, dass sie sich nun aus dem Leben verabschiedet. Die erste Person erhält diese Kassetten und soll sie nach dem Anhören an den als nächstes genannten versenden. Clay Jensen ist einer von ihnen. Er liebte Hannah, und er versteht nicht, inwiefern sein Verhalten mit ihrem Tod zusammenhängen könnte.

Die Erzählweise des Buches ist ungewöhnlich und erwähnenswert: es gibt zwei Erzählstränge. Das eine ist die wörtliche Rede Hannahs auf den Kassetten, der Leser (bzw der Hörer der Kassetten) wird mit "Du" angesprochen. Das andere ist in normaler Schriftweise der Ich-Erzähler Clay, der zwischendurchden Text Hannahs während des Hörens gedanklich kommentiert und der, wenn er nicht die Kassetten hört, sein aktuelles Handeln beschreibt. Beide Erzählstränge fügen sich perfekt ineinander, sodass man einem ungestörten Lesefluss folgen kann.

Ich fand diese Methode sehr gelungen, denn der Leser fühlt sich durch das "Du" direkt angesprochen, als wäre er selbst ein Teil der Umstände, die Hannah zu ihrer Tat brachten, was ein sehr beklemmendes Gefühl auslöst. Zugleich durch den Ich-Erzähler erhält er einen tiefen Einblick in das Erleben eines der Betroffenen. Clay und den Leser treibt die gleiche Frage voran: was hat er damit zu tun? Warum erhält auch er die Kassetten? Und wie können kleine Neckereien und unbedachte Handlungen dazu führen, dass Hannah sich das Leben nehmen wollte? Immer wieder macht das Mädchen Andeutungen auf das Kommende, und man will endlich wissen, was dahintersteckt.

Dazu die bange Frage: WANN erscheint Clay auf den Kassetten? Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr Schuld haben die erwähnten Personen auf sich geladen. Doch käme Clay bereits am Anfang, welche Motivation hätte er noch, die anderen Kassetten zu hören, welche Motivation hätte der Leser, das Buch zu beenden? Aber kann dieser sympathische Junge, der so liebenswürdig scheint, wirklich etwas so Schwerwiegendes getan haben?

Während Clay das Tonband hört, wird er zudem von Hannah aufgefordert, die Punkte aufzusuchen, die sie auf einer Landkarte markiert hatte, welche alle Betroffenen vor dem Suizid erhalten haben. Und so wandert Clay durch die Stadt und trifft andere, die bereits vor ihm auf der Kassette erwähnt wurden. Jeder geht anders mit seiner Schuld um, manche tragen schwer daran, andere nehmen ihren Teil daran nicht wahr, laden neue Schuld auf sich und erkennen nicht, was ihr Verhalten bei anderen auslöst.

Der Roman geht unter die Haut, ist sehr realistisch gehalten. Ein Satz, der mir sehr gut gefiel: "Wenn Du jemanden lächerlich machst, bist Du dafür verantwortlich, wie andere sich ihm gegenüber verhalten". Eine wichtige Aussage. Denn Mobbing ist an Schulen keine Seltenheit. Und es beginnt bereits im Kleinen, wo man es noch nicht einmal als Mobbing wahrnehmen würde. Es sind Kleinigkeiten, unbedachte Aussagen, harmlose Späße, die große Wunden reißen können. Auf gewisse Weise muss sich jeder fragen, was er hätte tun können, um Hannahs Selbstmord zu verhindern.

Für die achte und neunte Klasse halte ich das Buch auch sehr gut als Schullektüre geeignet (wobei ich allerdings deutsche Autoren hierfür bevorzuge). Denn es bietet sehr viel Stoff zum Diskutieren. Es fällt mir schwer, hier keine ausufernde Analyse einzelner Szenen, Charaktere und Verhaltensweisen zu erstellen, denn es bietet sich dafür geradezu an. Die Jugendlichen können sich hervorragend in die Handlung einfinden, die Sprache ist flüssig und angenehm. Sogar Lesemuffel werden dieses Buch nur ungern aus der Hand legen. Ideale Voraussetzung zu einem Schulbuch, um sich im Klassenverband über ein wichtiges Thema auseinanderzusetzen.

SaschaSalamander 17.03.2012, 15.28 | (0/0) Kommentare | PL

Sucker Punch

Heute habe ich SUCKER PUNCH gesehen, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich den Film beurteilen soll. Und auch die Kritiken der öffentlichen Meinung gehen sehr weit auseinander. Er spaltet die Zuschauer. Und das zu Recht. Ich weiß nur noch nicht, wo ich mich selbst einordnen soll.

Eine Rezension zu diesem Film wäre für meine Ansprüche zu komplex, da ich ihn komplett zerlegen würde, und schon ohne ihn in alle Einzelteile zu zerlegen, fallen mir ohne groß zu interpretieren und ohne ausgiebige Recherche so viele Dinge auf, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen und wie ich das sortieren soll. Deswegen ist der Film der Form halber hier zwar unter "Rezension" zu finden, aber eigentlich ist es eher ein bunter Gedankenmix, der nicht so ganz sortiert ist ;-)

Zu Beginn fällt es ziemlich schwer, sich in den Film einzufinden. Der Zuschauer bekommt viele bildgewaltige Szenen, jede Menge Musik und nur wenig Text. Doch man sieht, wie der Vater seine Tochter nach einem blutigen Vorfall in eine Nervenheilanstalt bringt. Er verhandelt mit dem Pfleger eine Lobotomie. Doch als er geht, verwandelt sich die Szenerie in eine Art Edelbordell, die Patientinnen sind die Prostitutierten, und die Protagonistin soll in fünf Tagen einem besonders angesehenen Kunden als Jungfrau verkauft werden. Doch das hübsche Mädel hat die Fähigkeit, mit ihrem Tanz die Zuschauer in Hypnose zu versetzen. Anstelle der Tanzszenen sieht der Zuschauer dann das, was das Mädchen sich vorstellt, nämlich wie sie als Kriegerin eine Mission erfüllt, für die sie verschiedene Gegenstände sammeln muss, die ihr den Weg in die Freiheit ebnen. Dabei helfen ihr vier der Mädchen. Die Szenen wechseln zwischen dem Edelbordell und den Kampf (Traum) sequenzen, die mal im Ersten Weltkrieg, mal in der Zukunft, mal im alten Asien, mal in einer Fantasywelt spielen. Doch die Mission ist gefährlich, und nicht alle werden fliehen können ...

Mindfuck erster Güte. Und ich bin hin und her gerissen. Ein Meisterwerk, das ich zehnmal und noch öfter sehen könnte und immer wieder etwas Neues entdecke. Und eine billige - Verzeihung - Wichsphantasie, bei der junge Frauen in etwas breiteren Gürteln (sollen Röcke darstellen), Strapsen mal mit Katanas oder Maschinenpistolen kämpfen. Wie gesagt, unsortiert, ich werde jetzt einfach mal ein paar Gedanken los.


WAS MIR ÜBERHAUPT NICHT GEFIEL:

Der Film war insgesamt einfach Overload. An sich waren einige Dinge nicht schlecht, wurden aber zusehr ausgereizt. Die Bilderflut, die Musik, die Actionszenen. Manchmal ist weniger einfach mehr. Dieser Film wollte alles, was er zeigte, noch etwas mehr zeigen. Bigger, better, American. Gib mir XXL und davon gleich zwei.

Ich hatte ein enormes Problem mit der Hauptprotagonistin. Im Film ist sie 20. Aber man hat sie auf niedlich getrimmt. Mit blonden Zöpfchen an den Seiten. Ihre Kulleraugen so groß wie bei einem Stofftier, die Wimpern extralang. Die Lippen so prall wie Pamelas Melonen (und wenn sie diese öffnet, dann immer perfekt genau so weit, dass jeder Mann nur einen einzigen Gedanken hat, was er da hineinstecken kann). Kaum ein Brustansatz, kein Hintern. Aber ein gürtelbreites Röckchen, darunter Strapse. Und dazu eine Körpersprache wie bei einem Kleinkind. Ihr geneigter Blick, die unsicheren Bewegungen, die nach innen gedrehten Beinchen. Da fehlte noch das Kindergartentäschchen an dem langen Arm mit ausgestreckten Händchen. Ich kriege die Krise, wenn ich so etwas sehe, und in mir brüllt alles ganz laut P**philie! Wenn irgendeines der Mädels zu einem der Freier hätte "Daddy" sagen müssen, hätte ich vermutlich den Film ausgeschalten. Mit sowas habe ich ein ganz massives Problem, auch wenn ich da vielleicht überreagiere. Aber das Mädel - sie wurde auch noch Baby Doll genannt - hat mich wirklich aufs Äußerste strapaziert.

An sich habe ich nichts gegen sexy Heldinnen. Oder sexy Helden. Egal, es darf ruhig was fürs Auge geben. Wenn es aber SO sexy ist, dass ich das Gefühl habe, der Film ist nur eine Tarnung für einen Pseudoporno, dann fühle ich mich als Zuschauer betrogen. Ja, ich weiß, 3 Engel für Charlie sind auch sexy. Und Kill Bill ist auch sexy. Und und und. Aber hier war wirklich absolute Overdose. Noch dazu diese Überdosis Zuckergus. Überdosis Schminke. Ja, es war ein Stilmittel, und es hat den Film auf seine Weise genial gemacht, es war überzeichnet, zumal es ja schließlich eine Fantasiewelt war, der Traum innerhalb des Traumes. Trotzdem war mir das einfach zuviel.

Und dann die Dialoge! Auaaaa! Manchmal habe ich nicht nur innerlich aufgestöhnt, sondern auch real ein lautes ARGH von mir gegeben. Nein, viel Liebe steckt nicht in den Dialogen. Aber wer braucht schon Dialoge, wenn er bei den Kampfszenen ausreichend Blick auf die Höschen bekommt. Wozu soll ihr Mund Worte von sich geben, wenn man ihn doch so gut für andere Dinge verwenden könnte. Wer braucht schon intelligente Sätze, wenn der unschuldige Kindergartenblick doch für alles entschuldigt (auch für das fehlende Gehirn. Am Ende fragte ich mich, wozu man jemanden dann auch noch lobotomisieren muss, wo doch eh schon nichts da ist?)


WAS MIR GEFIEL

Ich fand es einen großartigen Mindfuck. Es dauerte ein wenig, bis man begriff, was hier gespielt wird und warum. Erst die Nervenheilanstalt, dann das Bordell, und dann auf einmal Erster Weltkrieg? Aah, und dann wurde es klar. Es war genial gemacht, wie die drei Welten ineinandergriffen und das Geschehen in der einen Welt als Metapher für ein Ereignis der anderen Welt anzusehen war. Ein Film auf drei Ebenen, wirklich prima umgesetzt! Das Ende war entsprechend abzusehen und passte hervorragend zum Film, rundete ihn perfekt ab.

Der wilde Genremix ohne Rücksicht auf irgendeine Schublade war auch genial. Das muss man mal schaffen, Orks, Drachen, Maschinengewehre, den Ersten Weltkrieg, einen asiatischen Tempel, Samuraikrieger, Cyborgs, eine Nervenheilanstalt der Jahrhundertwende und die Roaring 20s unter einen Hut zu kriegen. Dazu auch kein spezifischer Kampfstil. Mal wurde mit Messern gekämpft, mal mit Schusswaffen, Schwertern, Bomben oder purer Wendigkeit. Der Film war Drama, Fantasy, Erotik, Action, Scifi, Historisch. Es schien ein Mix aus Inception, Shutter Island, Einer flog übers Kuckucksnest, PowerPuffGirls, Alice im Wunderland, House of Flying Daggers, Herr der Ringe, Dungeons and Dragons, Kill Bill, Moulin Rouge, Cabaret und einigen Mangas aus Martial Arts, Magical Girl und Mecha.

Auch der Stil lässt sich nicht festlegen. Es ist bonbonbunt und zuckersüß, so niedlich dass man Karies kriegt. Und auf der anderen Seite gibt es Charaktere, die richtig eklig, schmierig und hässlich sind. Eben alles stark überzeichnet. Da sind allerliebste Niedlichkeiten mitten in einer Bastion der Widerwärtigkeit. Als würde man die Powerpuff-Girls in ein dunkles Kellerverlies sperren, wo sie sich den Weg vom untersten Verlies hinaus in die Freiheit ermetzeln müssen, vorbei an Drachen, Vergewaltigern und Soldatenzombies. Und die niedlichen Girls kennen kein Pardon, einfach mal eine Kehle aufzuschlitzen und mit der Hand mitten ins Gekröse zu greifen. Und dann schnell noch mal ein Blick aufs Höschen und die großen Kulleraugen. Heureka, Mission geschafft, auf zur nächsten Qest!

Als Anime- und Mangafan gefällt mir dieser Mix natürlich auch. Kampfroboter / Mechas. Dann die Art des Mindfuck an sich sowie die Darstellung der Mädels. Solche Kampfmädels hat man in Animes oft. Wobei ich ehrlich sagen muss, dass ich sie gezeichnet irgendwie besser finde als in real. Als Zeichnung kann ich mit dem "sieht recht jung aus" gut leben, real fällt mir das schwerer. Trotzdem, sehr viele animetypische Elemente. Wäre SUCKER PUNCH ein 20bändiger Manga, hätte ich vermutlich alle Bände im Regal stehen. Als Film sehe ich das etwas skeptischer. Aber es wirkt tatsächlich, als hätte man eine entsprechende Vorlage verfilmt.

Die Bilder waren mir stellenweise zuviel, manche Kamerafahrten zu hektisch. ABER es gab einzigartige Momente, die alles wettmachen. Allein eine Szene, in der die Mädchen vor einem Spiegel sitzen. Die Kamera dreht und fährt in den Spiegel hinein, man sieht hinter dem Spiegel durch den Spiegel hindurch auf die Mädchen davor, die Kamera fährt zurück, und man sieht, dass die Mädchen hinter dem Spiegel zu sitzen scheinen und das, was man für die Mädchen vor dem Spiegel hielt nur das Spiegelbild ist. Ein WTF - Gefühl allererster Güte, eine Darstellung zweier gleichzeitiger Parallelwelten, und allein diese eine Szene hat den Film absolut grandios gemacht. Oder eine Kamerafahrt auf einen Zeppelin hin, dann auf den Zeppelin hinauf, um ihn herum und daran herunter, als wäre man der Wind selbst, der die Plane des Luftschiffes streichelt.


FAZIT:

Der Film ist unglaublich unkonventionell. Und mir fällt kaum ein Vergleich ein. Meiner Ansicht nach setzt SUCKER PUNCH neue Maßstäbe in vielerlei Hinsicht, und man muss ihn einfach gesehen haben. Der Film verdient eine ganz besondere Würdigung. Aber bei den Dialogen sollte man einfach weghören, sie sind eh nicht handlungsrelevant, die Handlung erschließt sich allein aus den Bildern. Bei der Musik muss man, wenn man wie ich empfindlich ist, einfach gelegentlich mal den Ton ausschalten oder sehr viel leiser drehen, auch der schönste Song kann irgendwann zu laut und lästig werden. Und was die Kindergartenoptik der Protagonistin betrifft, da muss jeder für sich selbst entscheiden, immerhin ist BabyDoll ja bereits 20.

Es ist ein Film, bei dem man enorm viel mitdenken muss, um ihn zu begreifen. Und bei dem man in anderer Hinsicht das Hirn komplett ausschalten muss, weil man sonst ständig schmerzerfüllt aufstöhnt. Absolut ungewöhnlich. Ich denke, ich finde ihn zu 70 Prozent ein Meisterwerk. Und die restlichen 30 Prozent werfe ich in die Schrottpresse.




SaschaSalamander 10.03.2012, 20.04 | (0/0) Kommentare | PL

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