SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Begegnungen auf der Trans*Fläche

BEGEGNUNGEN AUF DER TRANS*FLÄCHE  ist eine Sammlung von Episoden und Alltagserlebnissen unterschiedlicher Trans*Personen. Ich war neugierig auf die verschiedenen Personen, welche dahinterstecken und ihre Erfahrungen im binären Alltagsdschungel. Die Idee und das Konzept des Buches finde ich sehr schön, weil auf diese Weise sehr viele Facetten beleuchtet werden und der Blick vom klassischen Transmann, der typischen Transfrau weit entfernt sind. Doch die Umsetzung ist leider alles andere als gelungen.


Das Buch scheint nicht verschiedene Trans*Personen aus unterschiedlichen Lebensfeldern zu behandeln sondern eher von einer Gruppe zu stammen (etwa eine Selbsthilfegruppe, ein Freundeskreis, ein Stammtisch), weil die Texte zwar von unterschiedlichen Personen stammen, diese jedoch teils auf ähnliche Weise politisch aktiv scheinen. So sind sehr viele Texte linkspolitisch, und die Inhalte sind teils sogar aggressiv und unangenehm polarisierend. Gegen Ende, als allgemein über Trans* gesprochen wird, heißt es sogar auf Seite 105 "Trans*Menschen sind nicht Vollzeit-Trans* und nicht den ganzen Tag auf Queer-Partys. Wir sind auch auf Antifa-Demos, Kongressen oder in besetzten Häusern anzutreffen. Manchmal soll es sogar vorkommen, dass wir gerade lieber über die letzte Demo reden wollen, als über das neue Buch von Judith Butler oder den Verlauf der Gutachterinnengespräche. Wir sind einfach Deine Genoss*innen, mit mal mehr, mal weniger Gesprächsbedarf, politischen An- und Widersprüchen". Mit anderen Worten: raus aus der einen Schublade, rein in die nächste. Da läuft es mir kalt den Rücken hinunter!

Für Insider sind die Themen gelegentlich zu banal. Der xte Erfahrungsbericht rund um öffentliche Toilette und Misgendern im Supermarkt oder das Gerenne mit den Behörden. Doch obwohl die Themen an sich ziemlich klassisch sind für den T*-Kreis, ist es gelegentlich schwer, den Inhalt zu verstehen. 

Das liegt zum Teil daran, dass die Texte quasi unlektoriert übernommen wurden. Manche Texte sind in katastrophaler Umgangssprache notiert, teilweise sogar ohne Großschreibung (das ist eine Marotte, die ich auch eine gewisse Zeit pflegte in den Anfängen des Internets, aber für ein Buch dieser Preisklasse ist das ein absolutes No-Go). Manche Geschichten verzichten komplett auf Absätze und machen das Lesen zu einer Qual. Außerdem wird nicht geschrieben, von wem die Geschichte stammt, sodass ohne ein Hintergrund über das jeweilige Geschlecht oder Alter den Text recht kryptisch anmutet und oft nicht verständlich ist, worüber die betroffene Person sich gerade aufregt. 

Wenn es bereits für Insider schwer zu verstehen ist, mag es für Außenstehende erst recht kompliziert sein. Es gibt zwar ein ausführliches Glossar (das teilweise sogar Handelsnamen umfasst, die genannt werden, etwa Rahmmandeln oder Bionade?!?!?), aber das ändert nichts daran, dass manche Inhalte einfach absolut nicht verständlich sind, wenn man sich nicht mit dem Thema befasst. Der Versuch, durch die vielfältigen Geschichten Verständnis zu schaffen und für das Thema Interesse zu wecken, scheint meiner Ansicht nach also deutlich verfehlt. 

Es gibt ältere und jüngere Trans*menschen, und sie finden sich in unterschiedlichen Graden ihrer geistigen Reife, das ist okay und normal. Allerdings muss ich ganz ehrlich sagen, dass einige Beiträge dabei waren, die sehr pubertär und trotzig wirkten, beinahe albern und ziemlich unreif. Das ist insoweit in Ordnung, als es die Bandbreite aller Personen widerspiegelt, dennoch wirkt das in einem Buch wie diesem etwas unpassend und wirft ein recht klischeebeladenes Bild: der pubertäre Jugendliche, machomäßig und rebellisch. Und der Erwachsene, politisch aktiv und voller Wut auf die Gesellschaft. Ich kenne kaum Leute, die sich darin wiederfinden würden, und vermutlich wollen nur wenige in diese Schublade gesteckt werden.

Die Cartoons sind recht witzig: verschiedene Wörter mit dem Begriff "Trans" werden in einen neuen Kontext gestellt, etwa Transistor-Radio, transzendental, Transplantation, Transpiration, Transaktion und andere. 

Schade, das Büchlein hatte viel Potential. Hier eine Geschichte, dort eine Anekdote, dort ein paar Gedanken, eine nette Sammlung. Aber man hätte sich Mühe geben können, es besser zu überarbeiten und aufeinander abzustimmen. Auch ist es nicht schön, dass Trans*Menschen in politische Schubladen gesteckt werden, als wäre jeder verpflichtet einer bestimmten Partei und Gesinnung anzugehören. Insgesamt vermittelt das Buch ein ziemlich verzerrtes Bild, sodass ich es niemandem empfehlen würde, der sich frisch mit dem Thema auseinandersetzt.

SaschaSalamander 02.11.2015, 08.38

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