SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Der unsterbliche Tag

INHALT

Jeder Mensch ist einen besonderen Tag im Leben unsterblich, das kann als Baby sein, als Jugendlicher, Erwachsener oder alter Greis. Dieser Tag lässt sich mittels eines Tests herausfinden. Eine Gruppe von Samedays, die alle am gleichen Tag unsterblich sind, nehmen an einem großen Kontest teil: jeder schlägt drei Aufgaben vor, in denen er auf besonders spektakuläre Weise "zu Tode kommt" und dies überlebt. Dies wird live in der ganzen Welt übertragen. Am Ende stimmen die Zuschauer online über den Gewinner ab. Aber als wäre das nicht alleine schon schräg genug, gibt es natürlich jede Menge Regelbrüche, Lügen, Intrigen, Betrügereien und zwischenmenschliche Verstrickungen. Wird irgend jemand tatsächlich sterben? Wer wird am Ende gewinnen? Oder fliegt den Machern dieses Konstrukt zuvor gar um die Ohren?


AUTORIN

Dass "Jay Moon" - ein eher ungewöhnlich klingender Name -  ein Pseudonym ist, ahnt man bereits. Aber weil mir relativ egal ist, wer welches Pseudonym hat, habe ich mir wenig Gedanken darüber gemacht. Daher war ich dann doch nicht wenig überrascht, dass dahinter >Jasmin Whiscy< versteckt. Nicht, dass ich je von der Autorin gehört hätte - sondern aufgrund der Titel, die sie weiterhin veröffentlicht hat. Einer der Fälle, wo mir absolut klar und verständlich ist, warum jemand mit Pseudonym arbeitet, um verschiedene Genres voneinander abzutrennen und dadurch unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen. Aber bevor ich das hier aufzähle, verweise ich auf ihre Homepage. Denn etwas anderes als das, was dort steht, kann ich mangels bisheriger Berührungspunkte auch nicht erzählen ;-)


VORAB

Das Buch ist sowas von abgefahren und ungewöhnlich, dass ich, wenn ich davon erzähle statt zu schreiben, alles wild durcheinanderwirble und mich völlig im Chaos verliere, ohne dass mein Gegenüber versteht, wovon ich rede. DER UNSTERBLICHE TAG hat mich ziemlich begeistert, es fällt mir schwer mich zu zügeln. Ich gebe mir Mühe, das schriftlich hier ein bisschen zu sortieren. Aber seien es die Charaktere, der Aufbau, die Story an sich, der lässige Sprachstil, alles hat mir gefallen, und wo soll ich da anfangen?

Es ist auf jeden Fall einer der Titel, die ich nicht lese und vergesse, sondern es wird lange im Gedächtnis bleiben. Und sogar eine Chance darauf, dass ich es ein zweites Mal lesen werde. Denn ich habe es auf Spotify entdeckt und dort mit dem Hören begonnen. Der vierte Teil war noch nicht online, also habe ich sofort alle vier Bände auf Ebook geholt und den Rest verschlungen. Weil es mir so gefiel und ich das mit Schatz teilen wollte, höre ich es nun ein zweites Mal. Der Genuss ist dadurch nicht gemindert sondern umso größer. Da ich bereits um das Gesamtbild weiß, bleibt mehr Aufmerksamkeit bei den kleinen Details, die zwischen all der Action beim ersten Durchgang nicht sichtbar war.


CHARAKTERE

Es gibt eine bunte Auswahl an Teilnehmern, die dem Online-Zuschauer des Kontest und somit auch für den Leser jede Menge Abwechslung bieten: Eine sexy Influencerin, die auf möglichst attraktive und unanständige Weise immer wieder stirbt. Ein junger Mann ohne Beine, der gegen seinen Willen angemeldet wurde und keine Lust hat auf den Tod, sei er endgültig oder nicht. Ein japanischer Abenteurer, der den Kick sucht und dabei weiter gehen will als je zuvor. Eine Mutter, die für ihr HIV-krankes Kind bereit ist, alles über sich ergehen zu lassen. Ein junges Mädchen und ihre Mutter, deren Teilnahme anders verläuft als geplant. Ein Veteran, der seine Schuld abarbeiten möchte. Der Initatiator der Show, der natürlich möglichst spektakulär sein will. Eine rüstige Oma, die keine Angst vor dem Tod und nichts mehr zu verlieren hat. Ein Obdachloser, der nicht wirklich begreift, was da gerade vor sich geht und der einfach das macht, was ihm gerade gefällt. Und ein Inder, der endlich richtig berühmt werden möchte.

Sie alle haben ihre Leichen im Keller, teils im übertragenen, teils im wörtlichen Sinne. Nicht jeder ist, wer er vorgibt zu sein, und auch die Hintergrundgeschichten sind zum Teil reiner Fake, um die Zuschauer für sich zu gewinnen. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen, und natürlich spielen sie sich gegenseitig auch vor dem Publikum voreinander aus. Wo wäre denn der Spaß für Zuschauer und Leser, wenn alles wie geplant ohne spannende Wendungen verliefe ;-)

Obwohl es so viele Charaktere sind, und obwohl es so viele Verwicklungen gibt, behält man recht gut den Überblick. Jeder hat eine eigene Persönlichkeit, sie unterscheiden sich sehr gut voneinander, und auch die Aufgaben sind sehr spektakulär, sodass man sich das gut einprägen kann. Die Autorin hat Charaktere erschaffen, die man nicht so schnell vergisst!


SPRACHE / ERRZÄHLWEISE

Die Autorin schreibt nur wenige Seiten pro Charakter, bevor sie wieder die Erzählperspektive wechselt. Einer der Protas wird aus der Ich-Perspektive geschrieben, die anderen werden aus personaler Sicht gezeigt. Die Charaktere sind sehr unterschiedlich, sodass sich auch der Stil hier und da unterscheidet. Sie bleibt dem Grundtenor treu (locker, flüssig, ohne Fremdworte, einfacher Satzbau), ändert hier und da aber den Tonfall, sodass man die Handlung aus vielen Blickwinkeln betrachten kann.

Vermutlich dürften die meisten Lesenden den Ich-Erzähler als wichtigsten Protagonisten erleben, da er zuerst auftritt und man über seine Gefühlswelt am meisten erfährt, dennoch darf man daraus nicht schließen, dass er wichtiger als die anderen Charaktere wäre oder gar überleben müsse. In diesem Buch ist alles möglich, und die Autorin spielt mit dem Erzähler so wie der Moderator des Wettkampfs mit seinen Zuschauern. Schnell wird dem Lesenden klar, dass hier wirklich auf nichts, absolut nichts Verlass ist.

Wichtig und interessant auch: es wird gestorben, was das Zeug hält. Und teilweise auf ziemlich grausame, brutale und abgefuckte Weise. Die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund. Aber, was ich ihr sehr hoch anrechne und was ich sehr schätze: sie nutzt Gewalt und Brutalität und Blut und Sex niemals als voyeuristisches Element. Sie beschreibt lediglich in knapper und direkter Weise. Es gibt ein paar wenige Szenen, in denen sie tatsächlich sehr deftig schreibt, aber dies bezieht sich eher auf den knallharten Inhalt, ihre Wortwahl dagegen ist erstaunlich nüchtern (was es teilweise umso morbider macht). Und mehr als ein paar wenige Zeilen verliert sie dann auch nicht, bevor sie knochentrocken zur nächsten Szene übergeht.


AUFBAU

Die Story ist vom ersten Moment an spannend. Ich hatte ein paar Tracks reingehört und konnte es nicht mehr beiseite legen, musste zum Abschluss das Buch kaufen und die Geschichte nahtlos beenden. Alle anderen Bücher, Ebooks, Mangas, die ich sonst lese (ich habe idR mehrere parallel) blieben liegen, bis ich mit diesem fertig war. Ganz miese Masche: kurze Häppchen, winzige Brocken, alle zwei drei Seiten ein mächtiger Cliffhanger, schnell weiterlesen. Man hat gar keine Chance, das Buch aus der Hand zu legen! 

Und wenn es schon zu Beginn so spannend war, steigerte sich das immer mehr. Die Aufgaben wurden in drei Runden gestaffelt, und von Runde zu Runde wurden die Ideen wahnsinniger und gefährlicher, wurde man umso neugieriger auf die Umsetzung und den Ausgang. Ständig schwebt die Frage im Raum, ob jemand stirbt, und viele Cliffhanger enden mit dem Tod des Protagonisten (ob dieser reversibel ist oder endgültig, erfährt man erst mehrere Kapitelchen später, aber dazwischen gibt es bereits fünf neue Cliffhanger).

Wenn man einen Charakter mag und ihm den Sieg wünscht, tut er plötzlich etwas Unerwartetes, und man sieht ihn mit völlig neuen Augen. Dafür wird jemand anders, der bis dato ziemlich langweilig war, auf einmal interessant. Und eine unscheinbare Figur entpuppt sich als Sympathieträger. Nur, um kurz darauf wieder zum Arschloch zu mutieren. Herrjeh, das ist ein Wechselbad der Gefühle im Achterbahntempo!

Die Frage, ob ein solches Buch überhaupt einen Showdown bieten kann, wenn doch jede einzelne Aufgabe bereits der ultimative Kick ist - keine Sorge, die Autorin schafft es eins ums andere Mal, immer wieder einen draufzusetzen!


THEMEN

Ganz klar geht es hier um die Macht der modernen Social Media sowie der Medien an sich. Instagram, Youtube, Facebook. Follower, Likes, Votings, Clickbaits. Hier wird hervorragend karikiert, wie Menschen um Aufmerksamkeit buhlen. Nackte Haut, Trändendrüse, Heldentum, Action, Alltägliches. Und natürlich ist nichts, wie es scheint. Rezensionen und Likes kann man kaufen, Abstimmungen können gefälscht werden. Scripted Reality ist Pflicht heutzutage, live hin oder her. Show must go on, egal was passiert.

Es gibt in einigen Rezensionen Personen, die dieses Buch sehr unrealistisch finden. Ich dagegen finde es absolut realistisch. So realistisch, dass es mich teilweise gruselt, weil ich es mir exakt so in dieser Form vorstellen kann. Viele Aufgaben könnten 1:1 dem Dschungelcamp entnommen sein, vielleicht gab es sie sogar schon in dieser Form (nur dass man die ekligen Zutaten durch giftig-eklige Zutaten ersetzt und aus den kribbelnden Insekten hier eben kribbelnde todbringende Insekten macht). Und wären die Macher von Jackass unsterblich - hätten sie vermutlich exakt diese Aufgaben ausgeführt.

Was sich hier abspielt, ist krank und völlig unvernünftig. Kein gesunder Mensch würde das tun. Aber ich bin ganz ehrlich: zu Beginn fragte ich mich "herrjeh, wie soll man sich schon groß umbringen, man könnte dies und das und jenes", und natürlich dachte ich mir jedes Mal "nö, ganz sicher würde ich das nicht tun". Aber dann gab es plötzlich ein paar Ideen, die so spannend klangen, dass ich ins Grübeln kam: 

In Extremsportarten bis ans Äußerste gehen, die Erde nach oben und unten in allen Dimensionen auskosten, die Grenzen des Menschenmöglichen austesten. Dinge sehen, die noch nie ein Mensch zuvor in dieser Intensität gesehen hat. Herausfinden, wie ein menschlicher Körper auf diese oder jene äußeren Einflüsse reagiert. Und, wenn man schon regeneriert und der Körper sich selbst neu reproduziert - welche genialen Möglichkeiten bietet dies erst für die Medizin und die Wissenschaft? Warum nicht in diesem verrückten Kontest gleich austesten, wofür man das Wissen um den unsterblichen Tag in Zukunft verwenden kann, zum Wohle der Menschheit oder um maximalen Gewinn daraus zu schöpfen?


EIGENE MEINUNG

Ich will dieses Buch unbedingt als Film sehen! Es muss nicht einmal blutig sein, der Film dürfte ebenso wie das Buch im passenden Moment ausblenden oder aber nur das Nötigste zeigen. Der Voyeurismus für den Lesenden hier ist nicht das Blut sondern die Aufgaben an sich sowie das Mit- und Gegeneinander der Charaktere. Zickenkrieg und Machomacker vom Feinsten! Während mir Dschungelcamp, Big Brother und sonstige C-Promi-Formate zuwider sind (weil real und somit einfach nur unangenehm: Ich willl mir keine fremde Intimsphären aufdrängen lassen), genieße ich es hier in fiktiver Form umso mehr. Dazu jede Menge Twists, die es absolut unvorhersehbar machen.

Inhaltlich stellte ich mir dieses Buch gerade von Chuck Palahniuk im Festa-Verlag vor, es hätte wirklich das Zeug dazu. Aber, ganz ehrlich: so, wie Jay Moon / Jasmin Whisy es gemacht hat, gefällt es mir deutlich besser. Brutalität ist lediglich Mittel zum Zweck und nicht der Zweck an sich. Dadurch ist es möglich, ganz in das Buch einzutauchen und sich an den vielen Wendungen und Enthüllungen zu erfreuen statt ständig von unnötigen Gewaltschilderungen unterbrochen zu werden.


FAZIT

Schwarzer Humor, bitterböse makabere Scherze. Ein WTF - Moment reiht sich an den nächsten. Ich glaube, dieses Buch dürfte für einige ziemlich harter Tobak sein. Teils aufgrund der heftigen zu erfüllenden Aufgaben und der Beschreibung der vielen Todesarten. Teils wegen seines unschönen Realismus, der sich für kritische Lesende hinter der überdrehten Fassade verbirgt.

DER UNSTERBLICHE TAG ist eine geniale Mischung aus JackAss und Dschungelcamp und BigBrother für Unsterbliche, eingebettet in eine knallbunte Medienwelt, die vor zuckersüßer Bösartigkeit nur so trieft. Die Autorin hat hier etwas ganz Eigenes geschaffen, mit dem sie wirklich begeistert.

SaschaSalamander 10.01.2020, 08.51

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Barbara

Hallo, SaschaSalamander,
dieses Buch würde ich so gern lesen. Es gibt verschiedene Episoden. Die Episode 1 habe ich nirgendwo gefunden... Irgendetwas mache ich beim Suchen falsch. Wo könnte ich es bestellen, gibt es ein Gesamtwerk, und einzelne Episdenbücher ebenfalls? Hättest du einen Tipp für mich?
Liebe Grüße
Barbara

vom 16.01.2020, 14.49
Antwort von SaschaSalamander:

Hm, seltsam. Episode Eins heißt "fünf Uhr", und eigentlich ist das bei Amazon überall erhältlich als Taschenbuch oder Kindle Ebook, ebenso auf Audible als Hörbuch. Oder falls Du Spotify hast, dann dort hören. Seltsam, wird mir überall als verfügbar angezeigt ...

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