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Ausgewählter Beitrag
Endlich ich
KLAPPENTEXT
Als Sebastian Wolfrum an einem Sonntag im Oktober 2017 vor der versammelten Gemeinde erklärt, dass er sich seit Kindertagen im falschen Körper fühlt und fortan als Mann leben wird, sorgt die Nachricht deutschlandweit für Schlagzeilen. An diesem Sonntag wird der kleinen fränkischen Gemeinde bewusst, dass Ihr keine Pfarrerin, sondern ein Pfarrer vorsteht. Doch was Gemeinde und Presse überrascht, ist für Sebastian Wolfrum nur der konsequente letzte Schritt einer lebenslangen Auseinandersetzung mit sich selbst, dem eigenen Körper und Gott.
In seinem Buch schreibt Wolfrum einfühlsam und mitreißend von seinem Leben als Mann in einem Frauenkörper und darüber, was es bedeutet, als Teil der protestantischen Kirche mit dem gottgegebenen Körper zu hadern.
AUTOR
Der Autor erzählt in diesem Buch von seinem bisherigen Lebenslauf und seiner Transition. Aufmerksam wurde ich auf ihn und das Buch durch die Presse: da er als Pfarrer in der Öffentlichkeit steht, gab es viele Zeitungsartikel und Berichte über ihn. Ich durfte ihn persönlich auf verschiedenen queeren Veranstaltungen erleben, empfand ihn als sehr angenehm und sympathisch. Daher war es für mich klar, dass ich das Buch lesen und mehr über seinen Werdegang erfahren möchte.
AUFBAU, SCHREIBSTIL
Das Buch besteht aus drei Teilen, die sich jeweils abwechseln: die Vergangenheit als Silke, die Gegenwart als Sebastian. Dazwischen lyrische Texte.
In Silkes Passagen gibt es viele traurigen, düsteren oder gar traumatisierenden Ereignisse. Die vergangenen Passagen sind in der dritten Person geschrieben, aus der Distanz, ein Erfahrungsbericht von außen. Sebastians Erleben ist dagegen geprägt von Freude und Zuversicht, der Text ist in der ersten Person geschrieben, vermittelt Nähe und ist sehr direkt, man liest eine beginnende Reise.
Der Schreibstil ist in beiden Fällen direkt, ergeht sich aber nicht in voyeuristischen Details. Der Grundton ist durchgehend warm, herzlich und unaufgeregt, die Person und das Erleben sind greifbar, fühlbar. Beim Lesen leidet man mit Silke, freut sich mit Sebastian, ist mitten im Geschehen.
Das Buch liest sich flott und bequem im Fluss. Aber obwohl gerade bei dramatischen Momenten keine Details genannt werden, ist es sehr eindringlich, sodass mancher das Lesen vermutlich dosiert und unterbricht. Bei den Themen Missbrauch, Ausgrenzung, Depression, Suizidgedanken kann es unter Umständen heftige Gefühle auslösen oder gar triggern, betroffenen Lesenden dürfte dies aber aufgrund des Themas des Buches aber im Vorfeld klar sein.
UMSETZUNG DER THEMEN
Das Hauptthema ist die Transition, aber auch die Religion spielt natürlich eine große Rolle in diesem Buch.
Zugegeben, ich habe früher viele negative Erfahrungen mit Religion gemacht und befürchtete im Buch eines Pfarrers nun womöglich missioniert zu werden. Dies ist aber nicht der Fall: es geht nicht um Kirche, Glaube und Religion als solche. Sondern immer nur um Sebastian und das, was er damals erlebte und heute praktiziert. Es ist Teil seines Erlebens, seiner Erfahrung und untrennbar mit ihm verbunden. Es wird beschrieben, warum ihm die Religion wichtig ist, welchen Stellenwert Gott in seinem Leben hat, wie er Transition und Religion miteinander vereinbart. Darum, wie der Glaube ihn stets begleitet, ihm Kraft und Halt gibt.
Der Weg von Silke zu Sebastian ist nachvollziehbar beschrieben. Weshalb er es schon immer spürte, sich dessen aber erst bewusst werden und es benennen musste. Welche Schritte er seitdem gehen durfte und musste. Wie sich die Veränderungen für ihn anfühlten und wie es nun weitergehen wird. Auch hier gilt: es wird sehr viel beschrieben, doch seine persönliche Grenze wird gewahrt. Wer Klatschpresse und intime Details lesen will, ist hier falsch. Wer sich aber für seine Gefühle, sein Erleben und seine Hintergründe interessiert, der bekommt einen authentischen Einblick.
Betroffene Lesende seiner Generation können sich sehr gut in den Schilderungen wiederfinden. Außenstehende können nachempfinden, was es bedeutet, als Erwachsener einen so großen Schritt zu gehen, sich zu outen und den Körper einer Hormontherapie zu unterziehen.
PERSÖNLICHE MEINUNG
ENDLICH ICH ist ein Buch, das mich persönlich sehr bewegt und gerührt hat und das ich neben >GEBOREN ALS FRAU - GLÜCKLICH ALS MANN< sehr gerne empfehle, wenn ich nach Erfahrungsberichten gefragt werde, mit denen ich mich gut identifizieren kann.
Und ja, gelegentlich hatte ich Tränen in den Augen, musste kurz pausieren, verarbeiten. Es wurde in Silkes Passagen sehr viel aufgewühlt. Und umso größer war dann die Mitfreude und das Strahlen beim Lesen der Zeilen von Sebastian. Die Schilderung der zweiten Pubertät ließ mich grinsen, er hat sehr schöne Worte dafür gefunden. Und als gebürtiger Franke kenne ich die Orte, von denen er erzählt, bin gedanklich mit ihm durch die Straßen gelaufen.
Obwohl es Sebastians eigene Geschichte ist, seine Biographie und Sozialisation völlig anders verlaufen ist als meine, fand ich mich stets in seinen Zeilen wieder, entdeckte neben den Unterschieden auch viele Parallelen. Ich bin sehr dankbar für den persönlichen Einblick, den er uns mit diesem Buch gewährt. Seine Zeilen machen Mut und Hoffnung, wecken Verständnis.
FAZIT
ENDLICH IST ist ein wunderbarer Erfahrungsbericht: herzlich, persönlich, direkt und ehrlich. Ich kann es allen empfehlen, die sich aus egal welchem Grund für das Thema interessieren und wünsche mir, dass Sebastians Zeilen noch viele Leser*innen erreichen.
SaschaSalamander 19.06.2020, 10.12
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