SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Folge den Wolken nach Nord-Nordwest

KLAPPENTEXT: Hoch im stürmischen Norden auf Island zwischen Geistern und Elfen, ermittelt ein junger Japaner als Privatdetektiv.






EIGENE INHALTSBESCHREIBUNG: Kei lebt nach dem Tod seiner Eltern bei seinem Großvater in Island, einem kauzigen alten Mann mit Vorliebe für hübsche Frauen. Kei hat eine besondere Gabe, er kann mit toten Gegenständen "reden". Er macht jedoch wenig Aufhebens davon. In seiner Freizeit ermittelt er als Privatdetektiv und findet Dinge / Personen für seine Auftraggeber. Als Kei Kontakt zu seinem Bruder aufnimmt, der bei Onkel und Tante in Japan lebt, kann er ihn nicht erreichen. Und nun gilt es seinen Bruder zu finden ...

Über Aki Irie, die Zeichnerin des Mangas, kann ich leider nicht viel sagen. Ich kenne keine anderen Werke von ihr. Aber dieses erste, was ich hier nun von ihr gelesen habe, gefiel mir zumindest schon sehr gut.

Inhaltsbeschreibung mag nach einem typischen Shonen (jugendliche männliche Kiddies) klingen, ist jedoch sehr ernst und erwachsen gehalten, zählt ins Seinen-Genre (Zielgruppe: junge eher männliche Leser). 

Protagonist Kei ist zwar erst 17 Jahre alt, wirkt in seiner Zeichnung wie seinem Verhalten allerdings älter. Er ist viel alleine, der Manga kommt stellenweise über viele Seiten ohne Dialoge aus. Dennoch zeigen die Bilder deutlich, was in dem jungen Mann vor sich geht und was ihn antreibt. Alle anderen Figuren lernt man nach und nach kennen, zB werden sie in einer Rückblende erwähnt, oder sie sind nebenbei im Bild zu sehen oder namenlos in die Handlung integriert, um später dann offiziell aufzutreten. Die Vorstellung der Figuren erfolgt sehr langsam, geschieht nicht durch Handlung / Dialog sondern vor allem durch Mimik, Bilder und kleine Ereignisse, die etwas über ihre Eigenheiten aussagen.

Die Figuren sind manchmal etwas skizzenhaft dargestellt, wirken ein wenig unfertig und noch etwas unausgereift. Sie sehen sehr gut aus, mir gefällt das Charakterdesign, aber gelegentlich weicht die Zeichnerin davon ab, so als sei sie noch nicht ganz stilsicher (mal weicher, mal kantiger, mal erwachsener, mal kindlicher, mal wirkt es wie ein typischer Josei mit zartem Strich, dann wie ein harter Seinen mit markigen Zügen, dann wieder wie ein niedlicher Shojo mit wallendem Haar und großen Augen). Dies stört jedoch nicht, da dies nur auffällt, wenn man sehr darauf achtet. Zudem sehen alle Zeichnungen sehr schön aus, sodass es nichts daran zu Meckern gibt. Ich finde sogar, das verleiht dem Manga einen ungewöhnlichen Charme. 

Die Hintergründe und vor allem Landschaften dagegen sind sehr stilsicher und wunderschön. Die Straßen und Gassen, die weiten Landschaften, das Meer, die Berge, alles ist sehr realistisch gehalten und laden ein zum Träumen und Verweilen. Ich war noch nie in Island, aber dieser Manga macht Lust darauf, die Landschaft mit eigenen Augen zu sehen und sich dort mit der Natur zu verbinden. 

Die Panel sind eher westlich gehalten, klar strukturiert und abgegrenzt. Dies passt auch sehr gut zum ruhigen Erzählfluss. Obwohl eher wenig Text zu lesen ist, habe ich für den Manga sehr lange gebraucht. Die Bilder sind sehr intensiv, sie erzählen die Handlung sehr genau und erfordern entsprechend ein wachsames Auge für Details und Abläufe. Schön dabei finde ich vor allem, dass auch tatsächlich zu erkennen ist, was gerade geschieht (es gibt Mangas, in denen ich auf einzelnen Bildern nicht erkennen kann, welches Detail ein:e Mangaka hier gerade einblendet und was dies ausdrücken soll). 

Ich möchte Aki Irie nicht direkt mit Taniguchi vergleichen. Aber ich hatte beim Lesen ein ähnliches Gefühl: Ruhe, Gelassenheit, fernab der Hektik des Alltags. Klare, strukturierte Optik, ein feiner Blick fürs Detail. Wenig Worte, viel Aussage. Und ein sehr langsames Tempo. 

In diesem Manga geschieht zwar einiges, dies jedoch sehr langsam. Während des Lesens fragte ich mich, wohin die Geschichte sich entwickeln wird. Denn es wirkt wie einzelne, zusammenhanglose Episoden. Doch nach und nach wird erkennbar, wie die Handlung zusammenläuft und warum eine Szene gezeigt wurde. Die Erzählinhalte sind also nicht geradlinig sondern ineinander verwoben, während der Plot selbst kerzengerade vorwärts fließt.

Island als Setting für einen Manga ungewöhnlich, auch das hat mir sehr gefallen. Es ist eine willkommene Abwechslung. Der Glaube an Naturgeister, die weite Landschaft, all dies bietet eine sehr dichte Atmosphäre und ließ mich tief in die Geschichte eintauchen.

Während des Lesens habe ich oft überlegt, ob ich den Manga behalte oder weitergebe. 12 Euro ist nicht wenig, und die Geschichte ist zwar nett, bietet aber inhaltlich im ersten Moment keinen Anreiz, es ein zweites Mal zu lesen. Doch nachdem der Manga nun einige Zeit liegt, stelle ich fest, wiesehr er mich auch weiterhin bewegt, wie die Bilder in mir nachwirken und welch angenehm warmes Gefühl er mir beim Lesen beschert hat. Wie auch Taniguchi sind es die leisen Töne, die mich ansprechen. Die nicht gezeigten, nicht ausgesprochenen Inhalte, die im Kopf des Lesenden entstehen und dort ihren Zauber entfalten. 

Bisher sind 4 Bände in Japan erschienen, die Reihe wird fortgesetzt, und die Abstände der Veröffentlichung liegen bei einigen Monaten in Deutschland. Ich werde es also wagen und bin schon sehr gespannt auf die Fortsetzung (und hoffe, dass sich mein erster Eindruck bestätigt).

--> Ergänzung, nachdem ich den zweiten Band gelesen habe: der zweite Band laut Klappentext: "Privatdetektiv Kei bereist mit seinem japanischen Freund das atemberaubende Island". - Das ist toll, zeigt sehr viel von der Landschaft und Kultur, aber auf Handlung wartet man leider sehr lange, die eigentliche Geschichte um den Bruder bleibt komplett auf der Strecke. Dass der Prota Detektiv ist oder mit Gegenständen sprechen kann ist ebenfalls irrelevant. Ja, Island ist toll, die Zeichnungen gefallen mir sehr, eigentlich ein schöner Manga. Reiseberichte sind etwas für die Seele, aber mit 12 Euro pro Band für mich langfristig zu teuer. Einzelband mit gemütlicher Erzählweise a la Taniguchi sehr gerne, Krimi-Reihe mit unnötigem Leerlauf nein. Vielleicht werde ich ihn mir mal in der Bibliothek holen, wenn er nach 5 oder 50 Bänden abgeschlossen ist. Aber solange er weiterläuft und kein Ende in Sicht ist, ist mir das einfach zu teuer.

SaschaSalamander 21.09.2020, 09.42

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