SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Jack und das Kuckucksuhrherz

>Hier< habe ich Euch bereits meine Eindrücke über das Buch geschildert. Im Kino habe ich mir den Film nicht angesehen, aber zu Hause auf Leinwand in HD wirkt es dennoch atemberaubend. Ich ging mit dem Film an sehr hohe Erwartungen heran und rechnete damit, bitterlich enttäuscht zu werden, da ich mir eine angemessene Umsetzung nicht vorstellen konnte. Doch meine an sich schon sehr hohen Erwartungen wurden sogar noch weit übertroffen!






Vorab zum Genre: Ja, JACK UND DAS KUCKUCKSUHRENHERZ ist ein Animationsfilm. Wer allerdigs glaubt, als solcher sei er bedingungslos für Kinder geeignet, der würde auch WALKING DEAD an seine Kinder verteilen, nur weil es ein Comic ist. Man muss sich in diesem Film klar von der Vorstellung des Kinderfilmes lösen. Die Symbolik, die Schwermut, aber auch die bizarren Elemente dürften Kinder bei weitem überfordern und vermutlich langweilen, schlimmstenfalls sogar verängstigen. 

Wird das Buch aus der Sicht des Protagonisten erzählt, so ist der Zuschauer hier tatsächlich rein ein Zuschauer, der auch andere Blickwinkel einnimmt. Dennoch wurde die gesamte Atmosphäre des Buches hervorragend eingefangen. Ich hatte während des Lesens sehr klare, deutliche Bilder im Kopf wie selten bei einem Buch. Der Autor scheint diese so eindringlich geschrieben zu haben, dass andere wohl identische Dinge sahen, denn die Umsetzung im Film entspricht nahezu 1:1 meinem Kopfkino! Das hat mich dann doch sehr überrascht. 

Die Sprache des Buches ist malerisch, gespickt von ungewöhnlichen Metaphern. Diese werden im Film teils wörtlich genommen, sodass Acacias Oberkörper plötzlich von Dornen umgeben ist, Gegenstände gefrieren oder andere Formulierungen wortwörtlich umgesetzt werden. 

In der Rezension zum Buch schrieb ich "anfangs sehr selten, bald immer häufiger werden Worte verwendet, die unpassend für die damalige Zeit sind, die das malerische Bild zerstören, wirken wie ein hässlicher neonfarbener Fleck auf einem Gemälde in weichen, warmen Farben". Das störte meinen Lesefluss sehr. Im Film dagegen wirkten diese Elemente bezaubernd. Interessant, dass sogar mein Vergleich mit Neonfarben so umgesetzt wurde!

Grelle Neonfarbe im ansonsten eher viktorianischen Ambiente. Ein "Mikrofon" aus grellschimmernden Knochen. Beatbox, Sprechgesang / Rap, einmal sogar eine Szene wie aus dem Western. War es im Buch eine Störung des Gesamtbildes, war es im Film eine kunstvolle Inszenierung. Das Bizarre, Surreale des gesamten Settings wurde hervorgehoben, das märchenhafte Element auf eine moderne Ebene transportiert, dem Film wurde hierdurch eine zusätzliche Bedeutung verliehen, die ich dem Buch nicht entnehmen konnte. 

Der Soundtrack ist wunderschön. Die Lieder sind keine typischen Ohrwürmer, dafür aber stimmungsvolle, eindringliche Melodien. Passend zur jeweiligen Situation hört man Sprechgesang, Flamenco, Rockmusik, romantische Duette. Das Grundthema, die drei Regeln, zieht sich dabei in verschiedenen Variationen immer wieder durch den Film und erinnert Jack und den Zuschauer an die wichtigste aller Vorschriften. Erfreulicherweise wurden die Songs auch im Original belassen, z.B. Englisch oder Spanisch. 

Zur Technik gibt es so viel zu sagen, dass ich gar nicht weiß wo anfangen. Die Animation ist hervorragend, und auf der Leinwand in HD haben wir so viele Details erkannt, die mit soviel Liebe und Finesse gestaltet wurden, dass es eine wahre Pracht war. 

Obwohl es eindeutig Animationstechnik ist, wurden die Optik und der Charme typischer Stop-Motions eingefangen. Das Licht wirkt nicht nur simpel animiert sondern ist eine reale Lichtengine, die aussieht als würde die Lampe direkt auf ein reales Puppendiorama geleuchtet. Wo in Animationsfilmen die Frisur dynamisch bewegt wird, ist es hier fest wie das von Plastikpuppen. Kleidung und Haare bewegen sich nicht passend zur Schwerkraft sondern wirken bewusst etwas steif. Gelegentlich hängen einzelne Elemente des Films vermeintlich an animierten Schnüren oder Seilen, als würden sie nur dadurch im Bild gehalten. Ein Kunstgriff, der ein einzigartiges Denkmal für den Illusionisten und Regisseures Georges Méliès erbaut und seine Methoden hier auf moderne Weise imitiert. Manchmal vergisst man, dass es ein Animationsfilm ist und meint tatsächlich ein Puppenspiel vor sich zu sehen, Chapeu!

Wer Filme wie NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS, CORPSE BRIDE, CORALINE oder MAX & MARY liebt, wird auch von JACK verzaubert werden. Eine tiefe Schwermut hängt über dem gesamten Film, der mit seinen intensiven Farben, opulenter Bildgewalt und mitreißenden Songs direkt das Herz des Lesers berührt. 

JACK UND DAS KUCKUCKSUHRHERZ ist als Film genau DAS Meisterwerk, welches das Buch beinahe hätte sein können. Kleine Unstimmigkeiten des Buches wurden perfekt ausbalanciert und sorgen für ein unvergleichliches Erlebnis.


SaschaSalamander 07.01.2015, 09.46

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Tina

Hihi, ich hab erst vor ein paar Tagen mitbekommen, dass es dazu einen Film gibt und schon bloggst du darüber :) . Ich liebe das Buch total und muss den Film unbedingt sehen - und jetzt nach deiner Rezesion freu ich mich noch mehr darauf.

vom 09.01.2015, 08.52
Antwort von SaschaSalamander:

Wenn Du das Buch mochtest und Filmen gegenüber offen bist, wirst Du den hier auch lieben! Und, wie gesagt - eine der ganz wenigen Literaturverfilmungen, wo ich den Film sogar besser fand als das Buch, das will wirklich was heißen ... ich wünsch Dir viel Spaß damit! :-)

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