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Ausgewählter Beitrag
Luna
Es gibt nur wenige Bücher, die ich doppelt oder mehrfach lese. Wenn ich erneut zugreife, dann ist es ein Buch, das mehr war als nur Unterhaltung. Ein Buch, das mir etwas vermittelt hat, mich bewegte und nachdrücklich im Gedächtnis blieb. Ein solcher Titel war LUNA von Julie Anne Peters:
Regans Bruder heißt Liam. Regans Schwester heißt Luna. Luna ist Liam, und sie lebt ausschließlich nachts, wo sie in Regans Zimmer sie selbst sein darf. Mit Make-Up, Perücke, BH, Kleidern und weichen Stoffen. Regan hütet Lunas Geheimnis, denn die Eltern würden es nicht verstehen. Während sich Regan eigentlich um ihre eigenen Probleme kümmern müsste, drängt Luna immer mehr nach außen und benötigt Regans Hilfe: sie will nicht mehr nur das Mondmädchen sein, sie will endlich ein freies Leben führen und sich nicht mehr verstecken ...
Mit diesem Buch hatte Julie Ann Peters mich vor 10 Jahren schwer beeindruckt. Während in den Medien ansonsten vor allem Klischeebilder gezeigt wurden, hat sich dieses Jugendbuch einfühlsam, sensibel und ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt und einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt Lunas wie auch der davon mitbetroffenen Schwester gegeben. Und trotz der ernsten Thematik und seiner ruhigen, langsamen Erzählweise liest sich das Buch flüssig und rasch, ist ein regelrechter Pageturner, auch ohne Aktion oder Thrill.
Alle tragen ihr Päckchen, das wird hier deutlich. Protagonistin, aus deren Sicht erzählt wird, ist Regan. Obwohl jünger als Liam / Luna, ist sie fast eine Art Elternersatz. Beschützt ihre Schwester, bewahrt sie vor einem Suizid, steht ihr bei, wahrt ihr Geheimnis, hört ihr zu, hilft ihr letztendlich beim Outing. Regan muss viel zurückstecken und ihr eigenes Leben dafür opfern, wenn Luna wieder einmal zu weit gegangen ist. Sie ist hin und hergerissen zwischen Verständnis für Luna und dem Wunsch nach Normalität. Die Belastung auch für Angehörige, selbst wenn sie dem Betroffenen beistehen, wird durch ihre Rolle sehr gut dargestellt.
Selbst, wenn das Buch aus Regans Sicht erzählt wird - eigentliche Heldin der Geschichte ist Liam bzw Luna. Liam ist ein Traumtyp, die Mädchen scharen sich um ihn, er verdient gut mit seiner Computerbastelei, und in der Schule ist er erfolgreich. Das Bild eines jungen Mannes, auf das Eltern stolz sein könnten. Wiesehr er unter seiner Fassade leidet, was ihn bewegt und wie er damit umgeht wird sehr gut beschrieben. Die Autorin hat einen geschickten Kniff gewagt, Lunas Geschichte quasi aus zwei Perspektiven zu erzählen. Durch das enge Band der Geschwister wirkt Regans Blickwinkel in manchen intimen Momenten so nah, als wäre Luna die Protagonistin, als wäre das Buch aus ihrer Sicht geschrieben.
Die Eltern sind schreckliche Eltern, sorgen sich nicht um die Kinder, haben nur ihre eigenen Interessen, sehen das Offensichtliche nicht und unterstützen Luna nicht. Auf der anderen Seite tun sie, was von guten Eltern erwartet wird. Der Vater fragt immer wieder nach Regans Schule, nach ihrem Freund, er animiert Liam zum Sport, zum Autoreparieren, versucht die Familie mit Humor zusammenzuhalten und er merkt nicht, wiesehr er seine Kinder unter Druck setzt, wenn er immer wieder das Idyll einer heilen Familienwelt durchsetzen will. Die Mutter arbeitet, verdient das Geld für die Familie, steckt im Spagat zwischen Selbstverwirklichung und fürsorglicher Mutter, zieht sich immer mehr zurück und verschließt die Augen, um nicht selbst unter dem Druck der nach außen hin perfekten Familie zu zerbrechen. Es ist tragisch anzusehen, wie alle vier um Haltung ringen, wie alle versuchen das zu sein, was man von ihnen erwartet, und wie sie dadurch die anderen Beteiligten doch nur verletzen.
Viele weitere Personen treten auf, etwa langjährige Freunde, Klassenkameraden, Verkäufer, Passanten, und ihre Reaktionen sind unterschiedlich, sie repräsentieren die Gesellschaft und die teils offene, teils verklemmte, teils ablehnende Haltung, gegen die Luna bestehen muss.
Der Roman wird erzählt auf drei Ebenen: einmal die fortschreitende Handlung, in der das graue Mäuschen Regan ihren Traumprinzen trifft, sich wegen Luna aber gehemmt fühlt. Dann ist parallel Luna, die immer häufiger ans Licht tritt, die viele Hochmomente erlebt aber auch von Rückschlägen und Anfeindung getroffen wird. Und dann gibt es immer wieder Rückblicke, wenn Regan, ausgelöst durch einzelne Reizworte oder Situationen, sich erinnert. Daran, wie sie als Kind auf dem Geburtstag erste Anzeichen für Liams Anderssein entdeckte.Daran, wie sie das erste Mal von Luna erfahren hat. An die Beerdigung des Großvaters und die ungewöhnliche Reaktion der Großmutter. An den gemeinsamen Besuch auf dem Rummelplatz mit dem Vater. Viele Puzzlestücke, die sie prägten und die auch Luna beeinflussten.
Es ist ein Jugendroman, der sich rein als Coming of Age lesen lässt. Gleichzeitig wird sehr viel über das erzählt, was Luna ausmacht und sie bewegt. Die Autorin hat sehr gut recherchiert und dankt in ihrem Vorwort auch dem Gender Identity Center in Denver, die sie hierbei unterstützten. In vielen kleinen Alltagssituationen zeigt sie auf, warum Luna sich verstecken muss und wiesehr sie darunter leidet. Dennoch drückt das Buch nicht unnötig auf die Tränendrüse oder zeichnet ein hoffnungsloses Drama, zeigt stattdessen das Bild einer jungen Frau, die sich ihren Weg ins Leben erkämpft und nicht aufgibt.
LUNA ist schnell gelesen, dafür aber sehr lange im Gedächtnis. Ein Buch, das sich gerade wegen seiner schlichten Darstellung der komplexen Inhalte einprägt und das den Leser auf lange Zeit bewegt.
SaschaSalamander 20.11.2014, 08.41
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