SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Verdächtige Geliebte

Yasuko lebt alleine mit ihrer Tochter Misato und arbeitet in einem Bentoladen. Der Exmann stalkt, er macht sie immer wieder ausfindig und ist nicht bereit, aus ihrem Leben zu verschwinden. Eines Tages geschieht das Unglück: Misato setzt sich zur Wehr, und völlig überfordert von der Situation beschließen Mutter und Tochter ihn nun zu töten. Der Mathematiklehrer Ishigami hat dies von seiner Nachbarwohnung aus gehört und bietet an zu helfen. Sie sollen nur seinen Anweisungen folgen. Die Polizei beginnt zu ermitteln. Inspektor Kusanagi bittet seinen Freund, den Physiker Yukawa, zu Hilfe, der zufällig gemeinsam mit Ishigami studiert hat. Die alles entscheidende Frage, auf die es hinauslaufen wird: "was ist schwerer - ein unlösbares Rätsel zu erschaffen, oder es zu lösen?"


Nachdem ich nun fertig bin mit dem Lesen, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Bis kurz vor Ende habe ich sogut wie keine Rezensionsnotizen gemacht, zu schlicht wirkte alles. Netter Roman, interessante Story, spannender Einblick in das japanische Alltagsleben, angenehm ruhige Sprache, Spannung basiert nicht auf Thrill sondern auf dem geistigen Kräftemessen der beiden Naturwissenschaftler. Natürlich rechnet man sogar als unerfahrener Krimileser noch mit einer Wendung, nicht umsonst gibt es einen Cut zwischen dem Tod des Opfers und dem Auffinden der Leiche. Die Spannung besteht also darin, was in dieser Zeit geschehen ist, und man erhält immer mehr Puzzleteile. Auch stellt sich die Frage, ob der Mord aufgedeckt wird oder nicht.

All das kurz lobend erwähnt, fertig. Dachte ich. Das Ende allerdings ist grandios und mir in dieser Form noch nicht begegnet. Es offenbart sich eine Tragweite des Buches, die zu beschreiben ohne Spoiler nicht möglich ist. Und nun ist mein Kopf sosehr mit Gedanken gefüllt, dass sie gar nicht alle Platz hier in den wenigen Zeilen des Blogs finden.

Die Erzählweise und der Aufbau sind recht interessant: der Leser erhält von Beginn an Einblick in Yasukos Gedankenwelt und kurz darauf in die des Kommissars. Dadurch kennt man die Situation und Hintergründe, kann aber zugleich an den Ermittlungen teilhaben. Ein geschickter Schachzug des Autors. Gelegentlich wird auch aus Sicht des Mathematiklehrers erzählt, einige Punkte werden geschickt umschifft, doch sein Handeln und seine Motive werden dem Leser offenbar. Was das Buch in seinem Aufbau zu etwas Besonderem macht ist die Figur des Physikers Yukawa. Während der Autor als olympischer Erzähler dem Leser Einblick in die Gedankenwelt der anderen Beteiligten gewährt, lässt er Yukawa immer nur von außen beobachten. Warum er einen Verdacht hegt, was ihn zu diesen oder jenen Recherchen veranlasst und was er herausgefunden hat, bleibt sein Geheimnis. Es entsteht mit seinem Auftreten eine Spannung, die das Buch trotz seiner ruhigen, dialoglastigen Sprache zu einem absoluten Pageturner werden lässt. 

Der Leser erfährt viel über das japanische Leben im Alltag, über Angewohnheiten, Verhaltensweisen. Auch die Ortsbeschreibungen, Bahnstationen, Straßen sind realistisch gehalten und sorgen für einen interessanten Lokalkolorit. Doch auch sonst ist VERDÄCHTIGE GELIEBTE ein Buch, das in dieser Form wohl nur in einer Kultur wie Japan spielen könnte, ohne künstlich zu wirken (weshalb, kann ich ohne Spoiler jedoch leider nicht erklären). Auch die unverblümte Direktheit des Inhalts im Kontrast zu den blumigen Umschreibungen sind unverkennbar und verleihen dem Roman eine ganz eigene Note.

Was den Titel betrifft, bin ich ein wenig enttäuscht. VERDÄCHTIGE GELIEBTE klingt vermutlich nicht nur zufällig unverkennbar nach GEFÄHRLICHE GELIEBTE, einem erfolgreichen Roman des Japaners Haruki Murakami. Der Verlag scheint wohl versucht zu haben, mit dem Titel auf den japanischen Autor wie auch das Thema der Dramatik und der Liebe hinzuweisen, was jedoch sehr plump wirkt. Der originale Titel bedeutet übersetzt DIE HINGABE DES VERDÄCHTIGEN X und trifft den Kern weit besser und offenbart dem Leser erst am Schluss seine komplette Tragweite. 

Nachdem ich das Buch gelesen hatte, musste ich weinen vor Rührung, Anspannung, Überraschung und auch Betroffenheit. Je näher man dem Ende kommt, desto enger schnürt sich der Ring um den Brustkorb zusammen, desto betroffener wird der Leser, bis er erst mit dem letzten Satz das Geschehen in seiner Komplexität erfasst. 

Nein, es ist kein reiner Krimi, auch wenn es um einen Mord geht. Es geht auch um Männerfreundschaften, um Ehre, um Liebe, um Hingabe, um Mathematik, Physik und Kriminalistik. Von daher kann ich das Buch nicht nur Krimifreunden empfehlen. Ich empfehle es jedem, der eine Geschichte zu schätzen weiß, die aufwühlende Ereignisse in ruhigen, klaren Worten zu erzählen vermag. 

**********

Anmerkung: gelesen und rezensiert im Mai 2013, Rezi aber aufgespart und erst jetzt gebloggt. Nicht minder aktuell, und das Buch ist mir auch heute noch in eindrücklicher Erinnerung als originell, bewegend und ausdrucksstark.

SaschaSalamander 04.12.2014, 09.19

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