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Amadeus 06 - Teutobochus

amadeus06_teutobochus_1.jpgKlappentext:
Es war der April des Jahres 1782. Während der zurückliegenden Wochen war meine seelische Verfassung von der Tatenlosigkeit, zu der ich verdammt war, zermürbt worden. Ich befand mich in einem Zustand der Verwahrlosung, als sich endlich eine neue Spur auftat. Wir hatten die Bärbel Glatzeder, das ehemalige Hausmädchen der Marschalls, aufgespürt. Würde sie uns sagen können, wohin die verschwundene Franziska verschleppt worden war? Doch sie lag schwerkrank darnieder, und ich hatte schon alle Hoffnung fahren lassen, als mich eine seltsame Vision ereilte: Ich sah Franziskas Entführung vor meinen eigenen Augen - ganz so, als ob ich leibhaftig dabei gewesen wäre. Ich sah die finsteren Mönche mit ihren scharfen Sicheln, und ich sah ein merkwürdiges Symbol auf ihren Unterarmen... Was wollte es mir sagen? Ich kam nicht dahinter, bis mein Freund Amadeus eine entscheidende Entdeckung machte...

Die aktuelle Folge ist dieses Mal insofern anders, als alle bisherigen Teile in sich geschlossen waren. Zwar gab es vereinzelt Bezüge zu vorherigen CDs, etwa wenn Figuren aus alten Geschichten auftauchten, doch man hätte jede für sich einzeln hören können. Dieses Mal ist es nicht mehr möglich, ohne Vorkenntnis der Folgen 1-5 die Handlung zu erfassen und mitten in der Serie einzusteigen. Das ist etwas, das mir sehr gefällt und bisher als einziges etwas fehlte, nämlich ein roter Faden, der sich durch die Serie zieht. Das ist nun in der Serie inzwischen eindeutig gegeben:

Der Hörer erfährt mehr über Mozarts Gabe, die Melodien und Instrumente der Menschen zu hören, alte Charaktere tauchen wieder auf, die Handlung um die verschwundene Franziska wird fortgeführt, die Ereignisse rund um SCHOFAR werden angeschnitten, die Mönche treten wieder aufs Spielfeld. Es ist spannend zu verfolgen, wie die Fäden hier nun zusammenlaufen, und TEUTOBOCHUS zeigt sich sehr vielversprechend im Hinblick auf kommende Folgen. Besonders das Thema Wissenschaft vs Religion, Welt vs Kirche wird immer drängender, falls es nicht sogar letzendlich das Zentrale Thema werden könnte.

Die Zeit während des Hörens raste nur so dahin. Die Mischung aus Humor, Spannung, Mystery, Verbrechen und Dramatik ist perfekt ausgewogen, es gibt keine Längen, und ich konnte es gar nicht fassen, dass die CD nun schon beendet war. Mein Lieblingssatz dieser Folge: "Galanterie, das klingt wie ein Siechtum in den Eingeweiden" ;-)

Ein wenig enttäuscht, da ich gerne mehr gehört hätte, schließlich wurde der titelgebende Teutobochus ja nicht abgeschlossen, doch umso mehr Vorfreude auf die nächste Folge. Ich kann mir vorstellen, dass je weiter AMADEUS sich entwickelt, desto mehr es zu einer Serie werden könnte, bei der man am besten noch einmal kurz einen Blick auf die vorherigen Episoden werfen sollte, falls man nicht irgendwann den Überblick verlieren möchte. Aber das bleibt abzuwarten, ich lasse mich überraschen.

Die Musik passt wieder wunderbar, AMADEUS ist von allen Hörplanet-Reihen diejenige, deren Musik mir am besten gefällt. Inzwischen ist auch eingetreten, was ich schon in der ersten Folge vermutet habe: kannte man als Laie in der ersten Folge noch die meisten Stücke, wurde es immer schwieriger. Inzwischen muss ich zugeben, dass die Werke ab dieser Folge mir nun nicht mehr vertraut sind (sofern welche davon genutzt wurden, was ich mangels Erkennen ja nicht klar sagen kann). Sie gefallen jedoch sehr gut, und die Umsetzung ist stimmig, je nach Situation von fröhlich hin zu dramatisch und gar düster. Schön fände ich, wenn im Booklet ein Verzeichnis der verwendeten Stücke aufgelistet wäre, sodass man sich selbst noch ein wenig schlau machen, die Stücke im Original hören und vergleichen kann.

Auch in Sachen Sprecher kann ich eigentlich nur wiederholen, was ich bisher schon sagte: sie passen sehr gut zusammen und tragen dazu bei, der Folge wieder die Art von Professionalität zu verleihen, die man bei heutigen Hörspielen erwartet und die beim Hörplanet inzwischen die Regel ist.

Insgesamt muss ich sagen, dass es diesmal schwer ist, auf Handlung, Inhalt oder Besonderheiten einzugehen, da TEUTOBOCHUS weniger eine eigenständige Folge ist und nicht für sich gesondert beurteilt werden kann. Die Bedeutung dieser Folge wird sich wohl erst im Laufe der fortschreitenden Handlung zeigen. Qualität ist mir wichtiger als Quantität, trotzdem würde ich am liebsten rufen "macht schneller, ich will sofort mehr!" ... aber vernünftigerweise übe ich mich in Geduld und überbrücke die Zeit zur nächsten Folge mit ein paar Folgen meiner anderen Lieblingshörspiele ;-)

SaschaSalamander 08.07.2013, 08.24 | (0/0) Kommentare | PL

Porterville 08 - Die Chronistin des Bösen

porterville08_1.jpgDIE CHRONISTIN DES BÖSEN befasst sich nun endlich mit der Person, auf die ich mit am meisten gespannt war: Eleanor Dare-Sato. Von Beginn an schon wirkte sie auf mich sehr ungewöhnlich, und es war klar, dass sie ein großes Geheimnis birgt. Hier erfährt der Leser nun, wer Eleanor ist, woher sie kommt, was sie antreibt.

Anette Strohmeyer, die bereits >PORTERVILLE 02 - DIE VERLORENE KOLONIE< verfasste, zeichnet sich auch für die aktuelle Folge verantwortlich. Mir gefällt, wie die Autoren Geschichten aussuchen / zugeteilt bekommen (?), die inhaltlich auch direkt zusammenhängen, sodass sie sich voll und ganz einem bestimmten Thema widmen können.

Damals führte uns Anette nach draußen, hier nun verbindet sie das Draußen und Drinnen mit dem Damals und Heute. Und auch hier: es geht weniger um Spannung als vielmehr um Zusammenhänge und neue Puzzleteile. Gemütlicher Erzählstil, Erinnerungen. Geschickt streut die Autorin diese ein, und langsam wird die Serie (im positiven Sinne) wirklich unübersichtlich. Man meint, endlich das Bild erfasst zu haben, plötzlich wird ein altes Puzzleteil entfernt, an eine neue Stelle gesetzt, das Motiv verändert sich, und man muss nun von neuem versuchen alles zusammenzusetzen. Was man zu wissen glaubte, wird durcheinandergewirbelt und neu sortiert. Ich wage zu behaupten, dass ich das meiste nun verstanden habe und die Serie endlich durchschaubar wurde. Aber ich vermute, im nächsten Band wird alles wieder über Bord geworfen. Und noch immer sind zu viele Fragen offen, als dass diese in wenigen Episoden geklärt werden könnten.

SPOILER
Interessant wäre, falls es am Ende sowas wie eine MindMap oder eine Zeitlinie gibt, in der die Zusammenhänge erläutert werden. Denn mal ehrlich: wenn die Gegenwart in die Vergangenheit gebracht wird und eine Person der Vergangenheit von draußen auf die Gegenwart von drinnen trifft und sich später in der Zukunft innen an die Vergangenheit draußen erinnert, wird es schon arg mindfucking. Erst recht, wenn in der heutigen Gegenwart draußen jemand anders Nachforschungen anstellte über die Vergangenheit damals, die ja eigentlich einmal Gegenwart war ... wessen Gehirn da keinen Knoten bekommt, den bewundere ich als Genie!
SPOILER ENDE

Und auch hier wieder das Phänomen, dass ich sagen möchte "war das Beste bisher". Aber das waren die vorherigen ja auch, und man kann es einfach nicht vergleichen, weil eben jeder Autor einen anderen Stil hat, weil jede Geschichte andere Aspekte Portervilles umreißt und andere Schwerpunkte im Storytelling beinhaltet. Das Besondere hier: von allen bisherigen Folgen empfinde ich die Charakterisierung des Protagonisten hier am intensivsten. Ihr Innenleben, ihre Fassade, ihr Alltag. Der Leser bekommt ungeschönten und wertneutralen Einblick in das, was Eleanor ausmacht.

Ist Eleanor zu verurteilen für ihr niederträchtiges Handeln? Hatte sie überhaupt die Chance, anders zu agieren? Was hätten wir an ihrer Stelle getan? Und wo wird sie enden?

Mögen andere sagen, dass es schneller vorangehen soll: ich finde das Tempo prima. Die Folgen wirken in mir nach, der Inhalt muss sich setzen, die Zusammenhänge erschließen sich erst während der Reflektion im Alltag. Und auch, wenn die einzelnen Bücher sehr kurz sind - Qualität schreibt sich nicht von selbst - es dauert, bis der Text erdacht, niedergeschrieben, lektoriert, gesetzt und veröffentlicht ist. Das ist es mir wert, darauf zu warten, so unglaublich schwer es auch sein mag :-)

SaschaSalamander 01.07.2013, 08.49 | (0/0) Kommentare | PL

Wächterschwingen 02 - Dunkle Träume

KLAPPENTEXT

Eine Hexe auf der Suche nach ihrer Vergangenheit. Ihr Beschützer, ein begnadeter Kämpfer und zugleich ihr größter Feind.

Hexe Jenna macht sich mit dem undurchsichtigen Wächter Kyrian auf die Suche nach ihren Wurzeln. Verstörende Träume plagen sie, in denen sie nach und nach erfährt, wer Kyrian wirklich ist. Aber er rettet ihr das Leben, und sie spürt, dass trotz seiner schrecklichen Vergangenheit kein dunkles Herz in ihm schlägt.

Doch Krieger Kyrian muss Jenna seinem König ausliefern. Denn Jenna trägt nicht nur ein Geheimnis in sich, sie ist Kyrians Schlüssel zur Freiheit aus der Sklaverei. Er muss sich entscheiden: ein Leben in Gefangenschaft oder die Frau opfern, in die er unsterblich verliebt ist.


REIHE - WÄCHTERSCHWINGEN

Da ich mich regelmässig beschwere, wenn Verlage nicht kenntlich machen, dass es sich um eine Reihe handelt, möchte ich hier vorweg loben. Denn sowohl auf dem ersten als auch auf dem zweiten Band ist für den Leser klar ersichtlich, dass das vorliegende Buch Teil einer Reihe ist. Und das, obwohl man das zweite Buch auch ohne Kenntnis des ersten lesen und verstehen könnte. Danke, DAS ist leserfreundlich! :-)

Ansonsten: die Autorin führt ihre Leser sehr schön in die Geschichte ein. Selbst, wenn man den ersten Band nicht gelesen hat, wird man schnell begreifen, um was es geht und wie die Welt, in der die Gargoyles, Hexen, Dunkelelfen, Lichtelfen, Dämonen und anderen Wesen leben, aufgebaut ist, welche Regeln gelten. Auch werden die Charaktere sehr gut beschrieben, sodass ihre Vergangenheit für Erstleser an notwendigen Punkten erklärt wird, ohne dass alte Fans der Reihe sich langweilen würden. So wie man es sich von allen Reihen wünscht und nur wenige Autoren es in dieser Komplexität schaffen.

Was ebenfalls erwähnenswert ist die Qualität, mit der sich die Reihe hält. Oft ist der zweite Teil nur Lückenfüller oder flacht nach dem ersten Band ab, was hier nicht der Fall ist. Die Qualität wird absolut gehalten, ja sogar etwas gesteigert, da zu dem ersten Paar (das inzwischen ans Herz gewachsen ist) nun weitere Charaktere dazukommen, mit denen man mitfühlt. Auch die bisherige Handlung wird erweitert und um neue Aspekte ergänzt, sodass es mehr von allem gibt, was im ersten Band bereits gefiel.


CHARAKTERE

Wie bereits gesagt: die Charaktere, die man bereits im ersten Band >HERZEN AUS STEIN< liebgewonnen hat, tauchen größtenteils auch hier wieder auf. Dazu kommen weitere, denn Noir und Vince haben ihre übersinnliche Crew erweitert um zusätzliche Mitglieder.

Die Emotionen der Protagonisten sind jederzeit nachvollziehbar, regelrecht greifbar, als würde man es selbst erleben. Die Achterbahn aus Wut, Verzweiflung, Zorn, Angst, Leidenschaft, Liebe, Lust, Rachedurst und vielen anderen Eindrücken geht auf und ab, wirbelt den Leser durcheinander. Und um beim Vergleich der Achterbahn zu bleiben: natürlich weiß man, dass alles gut geht, dass kein Unheil droht und man am Ende zufrieden aussteigen wird, trotzdem kribbelt es überall, trotzdem ist man aufgeregt und hat auch ein wenig Angst. So auch hier, wo man um seine Lieblinge bangt, obwohl Happy End garantiert ist ;-)

Kyran, Jenna, Nicholas, Jamie, Noir, Vincent und all die anderen sind wie gute Freunde. Eine Clique, der man gerne angehören möchte, um ihnen beizustehen, um von ihnen Trost zu erhalten. Freunde wie dieses Team wünscht man sich als Leser, und je näher das Ende des Buches kommt, desto mehr wünscht man sich, länger mit ihnen verweilen zu dürfen.


EROTIK

Und bei all der Romantik und Urban Fantasy bietet das Buch natürlich immer noch Erotik. Sinnliche, gefühlvolle und äußerst ansprechende Erotik. Nein, prüde ist Inka niemals, dafür genießt sie es vielzusehr, mit ihren Charakteren zu spielen und ihre überbordende Fantasie mit den Lesern zu teilen. Was mir sehr gefällt ist, dass sie nicht in Superlative und Extreme verfällt, sondern immer ein gesundes Maß an Realismus wahrt und auch den Humor nicht zu kurz kommen lässt. Erotik wäre langweilig, wenn man nicht manchmal auch ein wenig schmunzeln könnte. Nichts ist schlimmer als Erotikautoren, die sich selbst viel zu ernst nehmen, Inka gehört zum Glück nicht dazu ;-)


AUFBAU

Das Buch ist in unterschiedlich lange Kapitel gegliedert, die die Handlung aus mehreren Perspektiven vorantreiben. Mal schlüpft der Leser in den Kopf von Jenna oder Kyrian, ein andermal in Nicholas und Jamie oder andere beteiligte Charaktere. Was ich gelungen finde: trotz der Vielzahl an Charakteren und Perspektiven ist das Buch an keiner Stelle überladen, sondern stets übersichtlich. Man hat als Leser den Überblick und kann der Handlung trotz der vielen Fäden gut folgen.

Neben dem Hauptplot um Jenna und Kyrian wird auch die Geschichte um Jamie und Nicholas vorangetrieben. Jamie ist bereits aus dem ersten Buch bekannt, er ist innerhalb der Reihe mein liebster Charakter, bringt eine nette Portion Gay-Anteil in das Buch. Die Bindung zwischen Noir und Vince aus dem ersten Band trägt Früchte, und auch Noirs Baby ist von großer Bedeutung. Dazu kommt die Geschichte um Kyrians Schwester Myra - hierzu möchte ich jedoch nichts verraten, denn die Art und Weise, wie dieser Handlungsfaden erzählt wird, ist ungewöhnlich und macht einen großen Reiz der Geschichte aus.


FAZIT

Wie erwartet hat Inka Loreen Minden sich wieder einmal selbst übertroffen. Ich kann es nicht anders beschreiben als: es ist ein Buch, in dessen Welt man am liebsten hineinschlüpfen würde. Alltag vergessen, raus aus der eigenen Welt - und ab zu den Gargoyles. Mit Jenna und Noir lachen, einen der süßen Jungs anflirten und sich verlieben, gegen das Böse kämpfen. Und immer mit dem Wissen "es wird alles gut" :-)


SaschaSalamander 26.06.2013, 08.49 | (0/0) Kommentare | PL

Zwienacht

weber_zwienacht_1.jpgAUTOR

>Raimon Weber< kenne ich vor allem durch seine Drehbücher zu den Hörspielen des >DARKSIDE PARK< und >PORTERVILLE<, GABRIEL BURNS und >MINDNAPPING<. Er hat jedoch auch einige Romane geschrieben. Neugierig, wie ich bin, muss ich die natürlich alle irgendwann lesen. Da ZWIENACHT mich vom Inhalt her am meisten ansprach, habe ich also mit diesem begonnen.


INHALT

Nach einem peinlichen und für ihn unerklärlichen Vorfall zieht Richard, Bestsellerautor, in eine neue Stadt, er taucht unter und beginnt ein neues Leben. Doch abgesehen von seiner Schreibblockade leidet er plötzlich an Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Er sucht einen Psychiater auf und hofft sein Leben endlich wieder in geregelte Bahnen zu bringen. Dann ist da noch Maria, die freundliche Krankenschwester des mobilen Pflegedienstes und einige Nachbarn. Immer enger webt sich das Band, das sie verbindet und auf ein gemeinsames Ende zusteuern lässt. Doch was geht tatsächlich in diesem seltsamen Haus vor sich? Ist Richard krank, oder steckt mehr dahinter?


AUFBAU

Spannung baut sich hier auf drei Ebenen auf: im ersten Drittel strebt der Leser danach, mehr zu erfahren über die seltsamen Vorfälle, die zu Richards Umzug führten. Es passiert nicht wirklich etwas, der Autor führt gemütlich und mit Bedacht einzelne Figuren in den Roman ein, zeigt dem Leser - ganz typisch im Horrorgenre, absoluter Klassiker - eine alltägliche, scheinbar normale Welt mit einem etwas aus der Bahn geratenen Protagonisten. Kein Grund zur Sorge, alles in Ordnung, kleine Unregelmässigkeiten gibt es überall. Der Leser wiegt sich in Sicherheit, wäre da nicht die seltsame Vorgeschichte und die Frage, was es mit den einzelnen Charakteren auf sich hat ...

Dann im zweiten Drittel beginnt es langsam unheimlich zu werden. Lauter kleine Vorfälle, hier ein seltsames Geräusch, dort eine leicht verzerrte Wahrnehmung, dort eine komische Bemerkung, eine ungewöhnliche Beobachtung. Dinge liegen da und sind plötzlich weg, ein seltsamer Anruf. Dazu eine Szene, die recht eklig ist und vermutlich über bloße Einbildung hinausgeht. Aber wer zur Hölle tut so etwas? Die Fassade bröckelt, der Alltag bekommt - wie auch das Mauerwerk in Richards Wohnung - tiefe Risse. Der Leser bekommt eine Gänsehaut, schaltet abends kurz das Licht ein, bevor er ins Bad geht.

Und im letzten Drittel zieht Raimon Weber alle Register. Langsam kommt Licht in das Geschehen, die Charaktere finden zueinander, das Geschehen ist am Höhepunkt, der Leser rast nur so über die Seiten und kann das Buch nicht mehr beiseite legen. Man ekelt sich aber muss doch hinsehen, es ist grausig aber man will es nonstop lesen, und bitte nachts das Licht dauerhaft brennen lassen!


CHARAKTERE

Drei Protagonisten gibt es zu Beginn: Richard Gerling, der Hauptprotagonist. Billy, anfangs ein Fremder für den Leser. Und "den Reisenden", einen brutalen Serienmörder. Anfangs ist unklar, wie sie zusammen hängen. Billy und der Reisende bleiben lange im Dunkeln, über Richard erfährt man bald mehr. Was ihn antreibt, was ihn bewegt, das erfährt man recht schnell. Warum er jedoch so seltsam ist, das ist Teil der Kernfrage. Dadurch fällt es schwer, sich in eine der Figuren hineinzuversetzen, sie sind bewusst undeutlich gezeichnet. In ZWIENACHT ist man weniger ein Beteiligter als vielmehr ein Zuschauer in erster Reihe. So, wie die Charaktere sich untereinander beobachten, so beobachtet auch der Leser und muss schrittweise die Puzzleteile an die richtige Stelle setzen.

Eine Figur gibt es jedoch, die überdeutlich hervorsticht: Maria. Ich mochte sie vom ersten Moment, und sie wurde immer sympathischer, mit ihr habe ich mitgefiebert, gelitten, gezweifelt, gebangt. Sie ist der Lichtstrahl in dem ansonsten eher düsteren Setting.  


EIGENE MEINUNG

Hier bei ZWIENACHT saß an Ort und Stelle, das Buch ist rückblickend in sich absolut stimmig. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass eine der Figuren zwar die Spannung erhöhte und den obligatorischen Sex-Sells-Aspekt in den Thriller brachte, jedoch nicht wirklich etwas zur Handlung beitrug und somit für mich eher überflüssig war (aber das ist Geschmackssache. Ich kann mir vorstellen, dass andere Leser genau diese Figur besonders gelungen fanden). Und auch, wenn der Anfang der Atmosphäre dient und insgesamt sehr gut zum Aufbau passt, hatte ich die ersten 20 Prozent des Buches noch nicht wirklich das Gefühl "ich muss jetzt unbedingt sofort weiterlesen". Doch nachdem ich dann in die Handlung hineingefunden hatte, wurde es recht bald zum Pageturner.

Das Korrektorat - zugegeben, ich bin von der Psychothriller GmbH Besseres gewohnt, hier hat man ein paar Kleinigkeiten übersehen. Aber gut, es waren keine drastischen Fehler, man konnte flüssig darüber hinweglesen.

Trotz dieser beiden kleinen Anmerkungen - ich war absolut begeistert, nachdem ich das Buch abgeschlossen hatte. Was mir an Raimon Weber immer wieder gefällt: er versteht es, Spannung aufzubauen und mit Bildern zu arbeiten, die eher unterbewusst wirken. Viele kleine Symbole und Andeutungen, kurze Momente, Dialogfetzen, das passende Wetter, immer das richtige Wort. Horror im Oldschool - Style, wunderbar ruhig, subtil und unaufdringlich. Dann mal ein, zwei eklige oder derbe Momente, um den Leser so richtig wachzurütteln, aber sofort fährt er wieder herunter und deutet auf den Riss in der Fassade - als wolle er verschmitzt fragen "na, willst Du WIRKLICH wissen, was dahinter auf Dich lauert?" ...

Und was mir hier besonders gefällt: die Lösung ist schlüssig und klar, die Handlung sehr gut geplottet. Von Beginn an gibt es viele kleine Hinweise, und doch wusste ich bis zum letzten Moment nicht exakt, was nun hinter all den Vorfällen steckt. Es ist lange unklar, in welche Richtung sich ZWIENACHT entwickeln wird, ob es nun ein Mindfuck ist, ob übernatürliche Elemente im Spiel sind, ob jemand wahnsinnig wird, ob es blutig endet oder oder oder. Sehr, sehr oft wurde ich schon von anderen Autoren enttäuscht in diesem Genre. Hier jedoch wird alles sehr schön aufgelöst. So simpel und logisch, dass man sich fast schon fragt "wie, das war es jetzt"? Und DAS gefällt mir: so eine abgef*ckte, verdrehte Handlung und so eine simple Lösung. Genial! Darauf muss man als Autor erst einmal kommen.


FAZIT

Ein Roman, der mir außerordentlich gut gefallen hat, nachdem ich mich etwas eingelesen hatte. Raimon Weber versteht sein Handwerk und überzeugt die Leser mit eindringlichen Bildern und überzeugenden Plots.

Wertung: 7,5 von 10 blaue Schlieren

SaschaSalamander 12.06.2013, 09.16 | (0/0) Kommentare | PL

Im Schatten der Götter

AUTOR

Christian von Aster, das musst ich sofort lesen! Von ihm sind die >MITTERNACHTSRABEN<, >DER WASSERSPEIER FLEDERMEIER<, >TIMMY KENNT DEN WEIHNACHTSMANN<, er ist Mitautor des >STIRNHIRNHINTERZIMMER<, einige weitere Titel liegen noch in meinem Regal und warten darauf, gelesen zu werden. Er gehört zu den wandlungsfähigen Autoren, die sich in verschiedenen Genres bewegen. Daher ist es immer wieder eine Überraschung, was mich dieses Mal erwarten wird. Garantiert aber immer: intelligenter Humor, Wortgewandheit und eine ziemlich abgefahrene Story. Einen Krimi hatte ich von ihm noch nie gelesen, umso gespannter war ich also auf diesen Titel.


INHALT

Ein Einbrecher öffnet den Tresor, holt ein Kästchen hervor. Der Sicherheitsdienst stellt ihn. Zack, Szenenwechsel, die Polizei vor Ort, der Sicherheitsdienst und der Einbrecher alle tot, ohne erkennbare Ursache erstickt. Der neureiche Archäologe, in dessen Haus eingebrochen wurde, bittet seinen Freund und Kollegen um Hilfe. Kommissar Mathesdorf hat alle Hände voll zu tun, dann wird auch noch der Seuchenschutz involviert. Die Ereignisse überschlagen sich. Ein uralter und ein junger Stammesangehöriger, eine afrikanische Schönheit und ihr Ehemann, eine geheimnisvolle Schachtel, uralte Gottheiten. Und immer mehr Tote, die nach und nach qualvoll ersticken.


CHARAKTERE

Es gibt keinen einzelnen Protagonisten. Dafür gibt es allerdings immer vereinzelte Charaktere, die vorübergehend im Mittelpunkt stehen, so etwa der Archäologe, sein Kollege, der Kommissar, die Afrikaner. Gelegentlich auch Charaktere, die kurz vorgestellt werden, bevor sie eines grausamen Todes versterben.

Man fiebert also mit keiner bestimmten Person mit, kann sich aber in alle sehr gut hineinversetzen, ihre Beweggründe nachvollziehen. Sie sind wunderbar beschrieben: mir gefällt, dass von Aster nicht die billigen Klischees bedient (und falls doch, dann in diesen wenigen Fällen sehr selbstironisch) und eigenständige Figuren erschafft, die so unterschiedlich und am Ende doch alle gleichermaßen menschlich sind.


PERSPEKTIVE

Von Aster schreibt hier nicht wie meist üblich aus der dritten Person heraus, sondern eindeutig als olympischer Erzähler. Er gibt Hinweise auf Kommendes ("er ahnte nicht, dass später", "doch es sollte ganz anders kommen" usw), und er gewährt dem Leser Einblick in die unterschiedlichsten Charaktere und Situationen, mal von innen heraus, mal als Beobachter. Dieser ständige Wechsel passt hervorragend zum Buch, da es die Hilflosigkeit des Kommissars und der anderen Beteiligten sehr gut widerspiegelt. Der Leser wird von einer Szene in die nächste geworfen, und wieder ändert sich der Blickwinkel, man weiß gar nicht so wirklich, wohin man seine Aufmerksamkeit richten soll, wer nun eigentlich die Schlüsselfigur ist, worum es überhaupt geht und worauf alles abzielt. Während diese Technik bei anderen Büchern eher wie ein gütiger Erzähler wirkt, der einfach nur den Überblick hat, fühlt man sich hier regelrecht ausgeliefert. Der Leser als Marionette des Allwissenden.


STIL, SPRACHE

Von Aster lese ich unter anderem deswegen so gerne, weil er hervorragend mit Worten umgehen kann. Alliterationen, perfekt gespitzte Pfeile, das richtige Wort an der richtigen Stelle. IM SCHATTEN DER GÖTTER weist weniger dieser wortreichen Pointen auf. Zugegeben, ich hätte es wohl auch nicht sofort als Werk des Autors erkannt. Dafür beweist er hier, dass er nicht nur mit Worten und Sätzen spielen kann, sondern auch mit ABsätzen, Inhalten und Zusammenhängen.

Das Buch ist recht ernst und düster geschrieben, und doch ist es voll mit trockenem Humor und zynischen Betrachtungen. Kann man in den anderen Büchern oder Gedichten einzelne Sätze herauspicken, die für sich betrachtet witzig sind, so sind es hier oft die Zusammenhänge, die etwas erst witzig erscheinen lassen. Die Sätze für sich betrachtet sind meist recht nüchtern.

Trotzdem, ein paar wenige Sätze, die auch für sich stehen können, gibt es natürlich. Sie erzählen Geschichten zwischen den Zeilen, ein hintersinniger Humor hinter den offensichtlichen Aussagen. Zum Beispiel: "Eine Frau, mit der er irrtümlich einmal geschlafen hatte" oder "Er hatte den Sex zweier Jahre nachzuholen. Zumindest den zweisamen Teil". Sätze, die manchmal erst kurz sacken müssen, bevor sie sich in ihrer Aussage komplett erschließen, die dafür umso nachhaltiger wirken und die Geschichte intensivieren. Nein, laut gelacht habe ich an keiner einzigen Stelle. Dafür innerlich so oft geschmunzelt oder böse gegrinst wie schon lange nicht mehr.


AUFBAU

Da das Buch zwischen verschiedenen Beteiligten springt und die Erzählweise oft variiert, muss man konzentriert folgen. Jeder Charakter hat einen unterschiedlichen Wissensstand, gelangt auf andere Weise an seine Informationen oder hat diese bereits, seien es die falschen oder richtigen. Dadurch verläuft es zwar chronologisch, dennoch ergeben sich sehr viele Sprünge, nicht im zeitlichen Ablauf aber hinsichtlich der Voranschreitens der Handlung.

Fällt es mir normalerweise leicht, ein Buch in verschiedene Passagen zu gliedern und den Spannungsaufbau zu schildern, so ist es hier kaum möglich. Obwohl es so geradlinig geschildert ist, wirkt es doch vom ersten Moment an episodenhaft. Und all diese gemeinsamen Episoden ergeben ein gemeinsames Bild.

Eine Erzähltechnik, die zu analysieren diese Rezension sprengt aber sehr interessant wäre. Dazu fällt mir wieder ein: um die Regeln zu brechen, muss man sie beherrschen. Von Aster beweist in diesem Werk ganz klar, dass er die Regeln der Erzähltechnik meisterlich beherrscht und es genießt, sie vor unseren Augen komplett auseinanderzunehmen. Sehr zur Freude des Lesers, der dadurch kaum etwas vorhersehen kann und in jedem Kapitel aufs Neue überrascht wird.


ATMOSPHÄRE

Das Buch ist insgesamt sehr atmosphärisch. Trotz des Humors, trotz der vielen wechselnden Perspektiven und "Kameraführungen" (wäre es ein Film, ich wüsste sofort, wo und wie ich die Kamera platzieren und bewegen müsste. Das geht mir nur in einigen besonders bildreichen Büchern so) erschafft der Autor eine Atmosphäre, der man sich nicht mehr entziehen kann. Besonders ab dem Moment, als die afrikanische Frau das Spielfeld betritt, verdichtet sich alles um einen herum, meint man sich selbst inmitten der Szene, spürt die Atemnot der Opfer, wird zu einem Tänzer in Trance inmitten von Trommeln und Räucherwerk.


FAZIT

Christian von Aster mal anders, aber genial wie immer. Ein in seiner Machart unkonventioneller Krimi, der in Sprache, Erzählweise, Aufbau und Charakterdesign von den bekannten Mustern abweicht und den Leser zu überraschen weiß. Wer ein Werk dieses Autors liest, sollte sich sowieso gewahr sein: wirf alles über Bord und vergiss, was Du bisher wusstest. Folge einfach, egal wohin ...

Wertung: 9,5 von 10 Dackel im Treppenhaus


SaschaSalamander 06.06.2013, 08.34 | (0/0) Kommentare | PL

Das Haus am Abgrund

freund_haus_1.jpgDie letzten Worte des Sterbenden sind eine Botschaft: ein Mord ist damals geschehen! Doch was will er den Hinterbliebenen mitteilen? Sollen sie den Fall lösen? Wollte er sich von Schuld freisprechen? Und vor allem: wie soll man einen Mord aufklären, wenn man weder weiß, wer ermordet wurde noch wann oder wo dieses Verbrechen stattfand? Marieke Kielmann erbt eines der beiden Häuser des alten Waldow, und alles deutet darauf hin, dass sich der Mord in diesem Ort, in diesem Haus ereignet haben könnte. Gemeinsam mit dem Arzt des Verstorbenen und dem Sohn der Haushälterin begibt sie sich auf die Suche nach den Schatten der Vergangenheit. Sie ahnt nicht, wie sehr ihre Nachforschungen das Leben in dem kleinen Dorf auf den Kopf stellen und welches Unheil sie heraufbeschwört ...

Ein Krimi, der mich sehr neugierig machte. Zum einen durch die interessante Ausgangssituation. Und zum anderen, weil der Autor >Marc Freund< schon viele Folgen für das Krimihörspiel LADY BEDFORT sowie weitere Hörspielserien geschrieben hatte. Ziemlich schnell habe ich das Buch gelesen, und gerne möchte ich das mit Euch teilen :-)


CHARAKTERE

Das Buch ist aus neutraler Erzählperspektive geschrieben, sodass je nach Kapitel immer wieder ein andere Charakter beleuchtet wird. Marieke und ihr Mitstreiter Vogt nehmen dabei als Protagonisten eindeutig den Hauptteil ein, dennoch gewinnt der Leser auch Einblick in all die anderen Dorfbewohner. Dadurch gibt es keine klare Figur, mit der man sich identifizieren könnte oder mit der man speziell mitfiebert. Dafür aber entwickelt der Autor das faszinierende Portrait eines kleinen Dorfes voll dunkler Geheimnisse. Während man die Beweggründe von Marike und Vogt erfährt, bleiben die anderen Figuren weitgehend von außen sichtbar. In den wenigen Momenten, in denen der Leser Einblick erhält, dient dies weniger zur Erhellung des Falles als vielmehr dazu, neue Fragen aufzuwerfen und die Spannung zu erhöhen.

Was mich sehr freute: das Personenregister am Ende. Eigentlich nur ein kleiner Aufwand für Autor und Verlag, für mich als Leser eine große Hilfe. Ich wünschte, alle Verlage würden dies am Ende eines Buches drucken!


SCHREIBSTIL

Wie bereits erwähnt, ist das Buch aus neutraler Erzählperspektive geschrieben, rein beobachtend mit gelegentlichen Blicken ins Innere. Dadurch bleibt der Leser der gesamten Handlung wie ein Zuschauer recht distanziert. Ein spannendes Szenario, das geboten wird und dem man gerne folgt, an dem man selbst jedoch nicht beteiligt ist.

Faszinierend an diesem Buch finde ich, wiesehr die Handlung über die Dialoge vorangetrieben wird. Es gibt dialoglastige und eher erzählende Bücher. So enorm dialoglastig wie DAS HAUS AM ABGRUND habe ich selten ein Buch gelesen. Anfangs fand ich das zugegeben etwas verwirrend. Einige Seiten, nachdem ich mich eingelesen hatte, gefiel mir dieser Stil jedoch recht gut. Es ist ungewöhnlich und dadurch einmal etwas komplett anderes als sonst. Vor allem ist es spannend zu verfolgen, wie die Handlung sich in den Dialogen entwickelt, die Charaktere ihre Persönlichkeit entfalten und die Ermittlung voranschreitet. 


KRIMIHANDLUNG

Marc Freund zeigt hier, was er wirklich hervorragend kann: gut zusammenhängende, in sich schlüssige Kriminalfälle erschaffen. Es gefällt, wie am Anfang eine unscheinbare Situation nach und nach immer mehr zutage fördert, bis man am Ende vor dem großen Gesamtbild steht. Mir gefallen die "klassischen", altmodischen Krimis, in denen das Blut nicht aus den Seiten tropft, in denen keine verwesten Überreste vor sich hingammeln, in denen nicht auf jeder Seite neue Superlative präsentiert werden. Sondern in denen ein oder mehrere ermittelnden Personen etwas aufdecken und die psychischen Hintergründe der Geschichte weit bedeutender sind als das nach außen Sichtbare. Ich frage mich gerade bei Vielschreibern, woher sie immer wieder die Ideen nehmen, solche Zusammenhänge zu erschaffen und diese dann ohne Verwirrung verständlich und nachvollziehbar auf Papier zu bringen. Freund jedenfalls beherrscht dies ohne Frage, und das ist die große Stärke des Romans.


REGIONALKRIMI

Neben der herrlich düsteren Krimiatmosphäre gestaltet der Autor sehr gut den Lokalkolorit. Flensburger Außenförde, dort kennt Freund sich bestens aus, ist er ja selbst dort aufgewachsen. Die Liebe zu seiner Heimat, aber auch die kritischen Betrachtungen, das vermag er dem Leser wunderbar zu vermitteln. Die Menschen in ihren Eigenheiten, die Landschaft, all das wird sehr anschaulich beschrieben, dass man meint, man sei selbst vor Ort.


PERSÖNLICHE MEINUNG

Die Krimihandlung gefiel mir außerordentlich gut, und sie ist der Grund, warum es mir schwer fiel, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Es ist ein typischer Oldschool-Krimi, wie ich ihn liebe, sehr gut geplottet und durchdacht.

Einzig schade finde ich, dass durch den distanzierten und ungewöhnlichen (wenn ich auch durchaus interessanten) Schreibstil der Zugang zum Buch erschwert wird. Ich konnte nicht wirklich mit Marie und Vogt mitfiebern, und selbst in den lebensbedrohlichen Situationen fiel es schwer mit ihnen zu bangen, zu sehr fühlte ich mich als Zuschauer. Das war dennoch weniger störend als ich anfangs erwartet hatte: da ich aufgrund der Handlung stets gefesselt war und das Buch ein absoluter Pageturner ist, konnte ich über diesen Aspekt hinwegsehen. Statt wie sonst eine einzelne Person war es hier ein gesamtes Dorf, welches mir im Laufe des Buches immer enger ans Herz wuchs ...


FAZIT

Ein gelungener Krimi, dessen ungewöhnliche Ausgangssituation viel verspricht und auch hält. Marc Freund weiß, wie ein guter Plot aussehen muss und erschafft eine Geschichte voller menschlicher Tragödien. Ein Cosy wie aus dem Lehrbuch, so müssen gute Krimis sein :-)

Wertung: 4 von 5 Dahlien

SaschaSalamander 05.06.2013, 09.05 | (0/0) Kommentare | PL

Gefangen im Sexverlies

AUTOR

Von Tomàs de Torres habe ich bereits >SKLAVENJAGD< und >DAS GEHEIMNIS DER SKLAVIN< gelesen. Ich mag es, dass seine Titel zwar hart zur Sache kommen, es aber dennoch eine spannende Handlung gibt und man eher von einem Thriller denn einem reinen Erotiktitel reden kann. Besonders gespannt war ich, da der neueste Titel nicht wie die anderen im Marterpfahlverlag erschienen ist, sondern diesmal bei UBooks.


COVER UND TITEL


Schade an der Veröffentlichung finde ich, dass der Titel so reißerisch daherkommt. Gerade von einem Publikumsverlag (CHECK BEGRIFF) hätte ich doch etwas mehr Feingefühl gegenüber der weiblichen Leserschaft erwartet - gerade diese wäre (nicht nur, aber besonders) eigentlich Zielgruppe des Buches, wird sicher aber von Titel und Cover abgeschreckt. Wäre mir der Autor nicht bekannt, ich hätte das Buch mit spitzen Fingern beiseitegelegt, ohne es auch nur eines Blickes zu würdigen. Aber da Ihr jetzt meine Rezension lest, hoffe ich Euch davon zu überzeugen, dass es nicht nur einen abschätzigen Blick wert ist sondern sogar die komplette Lektüre.

Mehr dazu hatte ich vor einiger Zeit ja bereits >hier< geschrieben.


INHALT

Der Klappentext gibt sehr viel vom Inhalt wider. Gerne würde ich es anders versuchen, doch es ist nicht möglich, sonst klänge der Roman zusehr nach "sie trifft ihn, er ist dominant, und sie verfällt ihm mit Haut und Haar. Doch er hat auch eine dunkle Seite". Das wäre das Klassische, aber so einfach ist es eben nicht.

Paloma beginnt ihren neuen Job in einem kleinen Verlag. Ihr vorgesetzt ist der attraktive Lorenza Aquila. Anfangs ablehnend, zeigt er sich ihr gegenüber bald zugänglich, und sie verbringen eine gemeinsame Nacht. Paloma träumt im Anschluss einen düsteren Traum von Kerker und Folter. Wannimmer sie mit Lorenzo schläft, werden diese Träume von Mal zu Mal eindringlicher. Als sie ihm davon erzählt, reagiert er sehr unerwartet und versucht die Beziehung zu beenden. Paloma spürt, dass es mehr damit auf sich hat und versucht, ihn mit ihrer Liebe an sich zu binden und ihn und sich von den Träumen zu lösen ...


GENRE

Eigentlich ein normaler SM-Roman. Allerdings wage ich es, diesen Titel auch in die Reihe der Romane einzureihen, die bevorzugt von experimentierfreudigen Frauen gelesen werden, für die Shades of Grey nur ein Kinderspiel war, die aber dennoch nicht sofort zu den Hardcoretiteln mit grenzwertigen NonCon-Praktiken greifen wollen. Es werden eben beide Seiten bedient:

Zwischen Paloma und Lorenzo besteht eine innige Liebe voller Romantik, Zärtlichkeit und Leidenschaft. Man spürt das Knistern zwischen den beiden, die Liebesszenen sind anregend beschrieben und wissen zu gefallen. Streicheln, Küssen, Kerzenlicht, edles Essen, Ausgehen im Restaurant, Liebesschwüre und die Gewissheit "ich würde alles für meine Liebe tun".

Auf der anderen Seite gibt es hier recht ordentlichen SM. Dabei wird der Autor jedoch nicht vulgär und eklig, sondern er hört immer genau da auf, wo das Kopfkino anfängt und es unnötig ist, weitere Worte zu verlieren. Ein Folterkeller, das bietet deutlich mehr als das Zimmerchen des Christan Grey, oh ja. Ein glühendes Kohlebecken, eine Streckbank, eine Leiter, ein Pranger, ein Tauchbecken, jede Menge schmiedeeiserne Ketten und Fesseln. Doch, wie gesagt, es wird weder blutig noch brutal, hier ist es vor allem das Kopfkino, das angeregt wird und sehr viel Freiraum für anregende Phantasien lässt, teils auch recht heftig aber niemals zuviel. Dadurch, dass es vor allem auch Traumsequenzen sind, in denen diese Dinge geschehen, wird die Situation zusätzlich etwas entschärft. Und dann ist da noch der geheimnisvolle Retter, der Paloma im Traum zur Seite steht.


AUFBAU

Wie auch in seinen anderen Romanen beginnt Tomàs de Torres seine Geschichte sehr langsam, es dauert viele Seiten, bevor der erste Hinweis auf SM kommt. Und selbst da geht es noch lange nicht zur Sache, sondern wird nur einmal erwähnt. Paloma ist unerfahren, und erst nach und nach wird sie durch ihre Kollegin an die Thematik herangeführt. Viele Leser werden sich wohl mit der Protagonistin identifzieren können, das wachsende Verlangen und die Faszination ebenso verstehen können wie auch die anfängliche Angst und Vorsicht. Das Buch ist aufgebaut wie eine schöne Session: gemütlich, ruhig, mit viel Körperkontakt, Kennenlernen, sehr viel Vorspiel, jede Menge Reizen und Anheizen. Dann wird es direkter, fordernder, schneller, das Tempo des Buches zieht an, die Worte werden klarer und der Inhalt intimer. Das Verlangen wird heftiger, die Erotik im Buch wird sehr direkt und heftig, immer schneller, die Handlung rast voran, bis es sich in einem Showdown entlädt ... nur, einschlafen sollte Paloma danach nicht mehr, ...


STIL

Der Stil des Autors hat mich in diesem Buch überrascht. Zwar waren in den beiden anderen Büchern die Protagonisten auch weiblich, dennoch erkannte man klar den männlichen Autor, einfach aufgrund der teils auch sehr männlichen erotischen Phantasien dahinter, und als Leser hätte ich eher Männern dazu geraten oder in diesem Genre bewanderten Frauen. Dieses Buch hier ist wesentlich weiblicher, ohne deswegen an Intensität zu verlieren. In DAS GEHEIMNIS DER SKLAVIN ist alles sehr nüchtern und sachlich, in SKLAVENJAGD wird der vermeintliche Held sehr schnell zum Feind. Hier dagegen besteht von Beginn an eine Zuneigung, wie sie eher für Romance typisch ist. Umso mehr verstehe ich nicht, warum man das Buch nicht für diese weibliche Zielgruppe vermarktete sondern so gestaltete, dass es nur in der Perversenecke am Bahnhof Leser findet, nicht jedoch auf dem Präsentierstapel in großen Buchhandlungen? Verdient hätte der Titel es durchweg!

Wortwahl, Darstellung der erotischen Szenen, Inhalt, Aufbau - zugegeben, würde ich den Autor nicht kennen, ich hätte auf das Pseudonym einer Frau getippt. Und das meine ich als großes Kompliment, denn gerade in diesem Genre sind es vor allem Frauen, die in letzter Zeit immer erfolgreicher werden und die Leser an sich binden.


SONSTIGES

Interessant finde ich, wie Torres hier auch die psychologische Seite des SM einbindet. Die Deutung der Traumsequenzen mag jeder Leser für sich entscheiden, man kann das Buch als reines Fantasy lesen, man kann darin aber auch eine metaphorische Darstellung des Unterbewusstseins und mehr darin sehen. Die Beziehung zwischen Paloma und Lorenzo bekommt dadurch eine neue Bedeutung, und Palmonas Versuch, ihn für sich zu gewinnen, kann gesehen werden als ... nein, das verrate ich nicht, macht Euch Eure eigenen Gedanken ;-)

Da das Buch in einem Verlag spielt, plaudert der Autor auch ein wenig aus dem Nähkästchen. Wieviel eine seiner Figuren von ihm selbst beinhaltet, weiß nur er allein und können wir nur mutmaßen. Interessant finde ich jedenfalls, was Torres über sich bzw seine Kollegen und das typische Verhalten gegenüber Verlagen und Lektoren schreibt. Aber lest selbst ...


FAZIT

Ein spannender Roman, der schnell und flüssig gelesen werden kann. Dennoch von einer inhaltlichen Tiefe, die zum Nachdenken anregt und das Buch zu mehr macht als nur einer kurzweiligen Lektüre. Top Empfehlung für alle, die zusätzlich zu den romantischen Worten gerne noch ein paar handfeste Taten haben wollen ;-)

SaschaSalamander 03.06.2013, 08.15 | (0/0) Kommentare | PL

Porterville 07 - Götterdämmerung

GÖTTERDÄMMERUNG - welch ein schicksalsträchtiger Name, das ist ganz schön hoch gegriffen. Dachte ich. Doch Hendrik Buchna erweist sich als würdig und hat mit Folge 7 eine Fortsetzung geschaffen, die diesen Titel verdient hat. Hendrik Buchna hat mit >Folge 18< den DARKSIDE PARK damals abgeschlossen. Es wurde viel geklärt, aber eine Menge Fragen blieben offen. Hier nun wird die Brücke geschlagen zwischen der Folge 18 des DSP und den Ereignissen in PORTERVILLE.

Diese Folge setzt nahtlos an, wo Folge 18 DSP abgeschlossen hat. Der Leser erfährt nun, was geschehen war und wie es weiterging. Und endlich, endlich wurden sehr viele Fragen beantwortet. Zum Teil Fragen, die uns Leser von Beginn an drückten (etwa die Frage nach dem "Draußen" oder warum in Porterville so vieles anders ist als im DSP). Und zu einem noch größeren Teil Fragen, die man sich hätte stellen müssen, wenn man nicht das angenommen hätte, was einem als scheinbar einfache Lösung so einfach präsentiert wurde bisher (leider müsste ich spoilern. Es zerreißt mich, das nicht schreiben zu dürfen, aber es wäre einfach zuviel). Und keine Sorge, es bleiben noch genügend Fragen offen für viele weitere Folgen ;-)

Die anderen Episoden stehen weitgehend für sich. Natürlich gehören sie zusammen, versteht man sie nur im kompletten Zusammenhang, doch sie sind weitgehend Einzelwerke. GÖTTERDÄMMERUNG dagegen hängt als Bindeglied so eng sowohl mit dem DARKSIDE PARK als auch PORTERVILLE zusammen, dass die Lektüre sich wirklich erst lohnt, wenn man alle anderen bisherigen Teile kennt. Sehr viele Puzzlestücke werden nun an ihren rechten Platz gerückt, und ohne Kenntnis der bisherigen Puzzlestücke versteht man aufgrund der vielen Namen, Zusammenhänge und Ereignisse absolut nicht, was da eigentlich erzählt wird.

Ich habe nach der Lektüre erst einmal einige alten Folgen auf dem Reader geöffnet, um mich einiger Namen und Zusammenhänge zu vergewissern, habe hier und da den Prolog anderer Folgen nochmal Revue passieren lassen, ein paar Dinge recherchiert, denn an alles kann man sich nach 18 Folgen DSP und bisher 6 Folgen PV gar nicht mehr erinnern. Die aktuelle Folge ist eine gute Gelegenheit, alles Bisherige Revue passieren zu lassen :-)

Stellenweise las ich mit offenem Mund, was Hendrik Buchna nach und nach enthüllte. DSP war genial, und Porterville ein würdiger Nachfolger. Doch mit diesem Bindeglied ergeben sich völlig neue Zusammenhänge und zeigt sich das nahezu epische Ausmaß, das hier nun erschaffen wurde, WOW! GÖTTERDÄMMERUNG - ein Titel, den sich diese Folge mehr als verdient hat!

SaschaSalamander 31.05.2013, 08.53 | (0/0) Kommentare | PL

Porterville 06 - Vor den Toren

porterville06_toren_1.jpgErgänzung: geschrieben, während ich längere Zeit zwangszweise offline war. Veröffentlicht, nachdem ich bereits die nächste Folge gelesen habe. Aber ich kann nicht alles, was ich in der Zwischenzeit geschrieben habe. Daher damals die Vorfreude auf etwas, das jetzt heute aber bereits da ist ;-)

******************

Langerwartet, es scheint eine Ewigkeit her, dass der letzte Band der Reihe PORTERVILLE erschien. Diesmal durften wir uns wieder auf einen Titel von Simon X Rost freuen, und zwar die Fortsetzung des dritten Bandes >NACH DEM STURM<.

Zu Simon X Rost und zum Konzept der Reihe Porterville selbst muss ich nichts mehr erzählen, das habe ich ja bereits ausführlich gemacht. Daher hier nur zum Inhalt und dazu, wie ich diesen Teil wahrgenommen habe:

Wie man aus NACH DEM STURM bereits weiß, ist Jefferson Prey nicht zufrieden mit Satos Führung. Er hat das Angebot, welches dieser ihm gemacht hatte, angenommen und versucht nun, das System von innen heraus zu zerstören. Doch wie es endet, haben wir bereits im ersten Teil >VON DRAUßEN< erfahren.

Und das ist es, was diese Folge so tragisch macht: sie ist spannend geschrieben, man hängt dem Erzähler an den Lippen (bzw mit den Augen auf dem Bildschirm), kann sich nicht lösen, und immer mehr verkrampft man, begleitet den Protagonisten ins Verderben und hegt die irrationale Hoffnung, es könne sich ja doch zum Guten wenden. Wenn man dazu neigt, sich sehr in das Gelesene hineinzuversetzen, dann kann einem hier regelrecht übel werden, denn die Anspannung und auch das Geschehen (niemals geschildert, sondern stets angedeutet und somit reines Kopfkino, darin sind alle Autoren der Reihe Meister) sind nichts für Zartbesaitete. Die Verzweiflung und Ohnmacht Jeffersons überträgt sich auf den Leser, dass es kaum auszuhalten ist. Und obwohl wir sosehr mit ihm mitfiebern - wissen wir, wie es enden wird und können es nicht verhindern. Eine regelrechte nervliche Zerreißprobe für den Leser!

Von Simon X Rost stammt auch die Folge >DIE AUGEN DER NACHT< der Reihe DarkSide Park. Die Szene mit dem Wagenheber blieb mir bis heute im Gedächtnis, und noch immer schüttelt es mich, wenn ich daran denke. Uargh, allein der Gedanke an diese Szene ließ mich stets zusammenzucken, während ich VOR DEN TOREN las, weil ich befürchtete, erneut eine solch grausig-gute Szene lesen zu müssen ...

Schade, dass die einzelnen Bücher so kurz und die Abstände dazwischen so gefühlt lang sind. Aber Qualität schreibt sich eben nicht von selbst, und so kann man auch die Leser länger am Ball halten und neue weitere Fans gewinnen. Trotzdem - ich willwillwill sofort die nächste Folge! ;-)

SaschaSalamander 28.05.2013, 08.44 | (0/0) Kommentare | PL

Milliarden-Mike

wappler_mike_1_1.jpgAUTOREN

Mike Wappler ist inzwischen 57. Er ist Betrüger und Hochstapler, und kein kleiner: rund 20 Jahre seines Lebens hat er hinter Gittern verbracht, unter anderem in der berühmten JVA Fuhlsbüttel (Santa Fu). Angedacht war ursprünglich eine Sicherheitsverwahrung, doch kurz zuvor entzog er sich durch Flucht, gerade während der Diskussionen um Neuregelung der SV. Er kann zwar nicht lesen oder schreiben, doch bereits als Kind bekam er Einblick in das Milieu, lernte andere Menschen mit Worten und Lügen (die er selbst als "Geschichtenerzählen" bezeichnet) zu betrügen (er würde sagen "Maß nehmen").

Der Journalist Tim Gutke hat mit ihm nun das Buch MILLIARDEN-MIKE veröffentlicht, in dem er seine Geschichte erzählt. Und es haben sich wohl zwei gefunden, die prima zusammenarbeiten: hier hat man das Gefühl, dass der Journalist die Worte des Betrügers gekonnt umgesetzt hat, sie perfekt in Szene setzte (denn was nützt die spannendste Geschichte, wenn der Schreiber sie nicht umzusetzen vermag). Der Schreibstil Gutkes und die Erzählungen Wapplers - eine kongeniale Mischung, die den Leser anspricht und sofort wirkt.


AUFBAU

Das Buch beginnt mit der Beschreibung von Wapplers Flucht während seines Freigangs. Danach wird seine Geschichte chronologisch von Beginn an erzählt, vom kleinen Bub hin zum heutigen Lebemann mit Porsche, Villa, Rolex, Designerklamotten und einem dicken Bündel Banknoten in der Hosentasche. Dazwischen werden immer wieder einzelne Absätze eingeschoben (optisch gut vom restlichen Text abgegrenzt, sodass man sie auch zwischendurch überfliegen kann). Der frühere Familienanwält, seine aktuelle Anwältin, seine Halbschwester, ein damaliger Weggefährte, sogar "Schneekönig" Ronald Blacky Miehling kommen zu Wort, auch werden Auszüge aus Gerichtsakten und Zeugenvernehmungen eingefügt.

Das führt dazu, dass die Geschichte aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden kann. So hat der Leser nicht nur die beschönigte Variante Wapplers, sondern auch die Stimmen anderer Personen. Der Unterschied fühlt sich manchmal an, als würde man mit einem heftigen Knall auf dem Boden landen. Wappler erzählt von seinen tollen Ansichten und seiner Ehre, und plötzlich liest man, wie die Schwester von seiner Kindheit als Zigeuner erzählt, wie er verhöhnt wurde, dass er selbst in der ersten Klasse überfordert war und in der Schule keine Chance bekam. Er erzählt stolz von seiner durchdachten Flucht. Sie erzählt von der Feier, die extra für ihren Sohn organisiert wurde und bei der auf einmal nur noch die Polizeiaktion und die Flucht im Vordergrund standen. Wenn Milliarden-Mike die Reichen wie Robin Hood abzockt, dann mag vermutlich mancher Leser anerkennend nicken, aber wenn er dem Sohn der Schwester den Ehrentag vermiest, das tut weh, da hat man wenig Verständnis.


UMSETZUNG

Das Buch ist mit Ausnahme der Einschübe anderer Personen durchgehend aus der Sicht des Ich-Erzählers Wappler geschrieben. Die Identifikation mit dem Betrüger fällt, da sie in geschickte Worte gekleidet ist und die Handlungen stets nachvollziehbar dargestellt wurden, erstaunlich (beängstigend) leicht. Ja, Wappler weiß sich in Szene zu setzen, und ich konnte mir sein Auftreten sehr gut vorstellen. Und Gutke weiß ihm das entsprechende Forum für seinen Auftritt zu bieten.

So betont Milliarden-Mike immer wieder seine Ehre. Er habe niemals jemanden Maß genommen, der es nicht verdient hätte. Wer gierig ist, der ist selbst schuld, und einen Milliardär kümmern ein paar Millionen nicht. Einmal nur habe er eine arme Frau um 3000 Euro erleichtert, aber er habe sich sosehr dafür geschämt, dass er sich mit einem Blumenstrauß entschuldigte und ihr statt dessen 4000 Euro zurückgab. Außerdem steht er zu seinen Taten, man muss Verantwortung übernehmen, das hat ihn bereits seine Mutter gelehrt. Mal ehrlich - wem geht bei diesen Worten nicht das Herz auf? Insgesamt ist das Buch sehr emotional geschrieben, offenbart viel über das, was (vorgeblich, wer vermag das zu beurteilen) in Wappler vorgeht.

Über die Gefahren dieses Buches gleich mehr, doch erst einmal das Lob an den Journalisten: es gehört einiges dazu, einen Menschen ins rechte Licht zu rücken, der sogar Sicherungsverwahrung verordnet bekam. Während man als gutbürgerlicher Mensch zu Hause sitzt und sagt "so etwas tut man doch nicht", lässt Gutke den Leser hier statt dessen die Perspektive wechseln. Er zeigt die schillernde Welt des Milieus, die Verlockungen des Reichtums, die dreckige Seite der gierigen Reichen. Er schafft ein Wir-Gefühl mit einem Verbrecher. Beachtliche Leistung und äußerst faszinierend zu lesen.

Es ist gelungen, dem Leser einen Blick hinter die Kulissen zu bieten. Mit Erstaunen liest man, mit welch einfachen Mitteln es möglich ist, ganz ohne Aufwand einen so simplen und doch geschickten Betrug zu organisieren. Es kommt sogar ein wenig Bewunderung auf für den Menschen, der so mühelos solch simplen und doch effektiven Methoden zu entwickeln weiß. In den Zeilen spiegelt sich sehr viel Menschenkenntnis und Gerissenheit, die in diesem Ausmaß absolut beachtlich ist. Und wer kritisch liest, der wird sehr schnell erkennen, weshalb Wappler kein kleiner Betrüger ist, sondern warum man ihm ursprünglich eine Sicherheitsverwahrung andachte.


SCHWIERIGKEIT

Es ist die Aufgabe des Journalisten, aus Sicht Wapplers zu schreiben, und das ist ihm gelungen. Allerdings führt das dazu, dass das Buch sehr kritisch gelesen werden muss. Es verlangt dem Leser eine gewisse Fähigkeit ab, zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, sich nicht um den Finger wickeln zu lassen.

Es ist enorm, wieviel kognitive Verzerrung in diesem Buch aufgezeigt wird, präsentiert im Brustton der Überzeugung. Bagatellisierung, Schuldverschiebung, Generalisierung, logisch erscheinende Rechtfertigung und weitere. Konsequenzen werden in Kauf genommen oder falsch eingeschätzt.

Mit dem Opfer, welches zuletzt genannt wird, empfindet der Leser kaum Mitleid. Im Gegenteil eher Schadenfreude, und das Gesetz gibt sogar Recht, indem unter anderem im Urteil zu lesen ist: "Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer außerdem berücksichtigt, dass dem Angeklagten seine Taten durch die Leichtgläubigkeit seiner Opfer, insbesondere die des Geschädigten Hubert, leicht gemacht wurden". Und ich gebe zu, während des Lesens habe ich oft mit dem Kopf geschüttelt und konnte nicht glauben, was ich da las (jedoch durch Auszüge aus der Zeugenvernehmung und dem Gerichtsurteil untermauert wurde und somit also tatsächlich stattgefunden zu haben scheint). Dennoch - Unrecht bleibt Unrecht, egal wie gut es verpackt wird.

Gelegentlich scheint es fast, als laute die Moral: "Verbrechen lohnt sich" (brüstet Milliarden-Mike sich gar damit, keinen Cent bisher mit ehrlicher Arbeit verdient zu haben, bezeichnet er das Opfer als Kuh, die gemolken werden will). In den Händen der falschen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen könnte ein Bild entstehen, das absolut schädigend wirkt. Zum Glück aber dürften diese Personen eher selten zu einer Lektüre greifen, sodass ich dieses Buch nicht wirklich als "gefährlich" sehe. Der eigentliche Leser wird wohl klar in der Lage sein, Recht und Unrecht zu entscheiden und die Bagatellisierungen, Schuldverschiebungen etc als solche zu erkennen.

Und eine weitere wichtige Frage: Ist es überhaupt nötig, einem Kriminellen wie ihm eine Platform zu bieten? Nötig - nicht unbedingt. Sollte man es trotzdem tun? Ich finde, warum nicht. Es ist spannend, von anderen Menschen über deren Leben zu erfahren, und man möchte natürlich etwas erfahren, das man selbst nicht kennt aber schon immer mal wissen wollte. In dem Fall befriedigt Herr Wappler also wieder einmal die Gier seiner Opfer, äh, Leser, in diesem Fall die Neu-Gier, die Sensations-Gier. Diesmal aber völlig legal, und es profitieren beide Seiten davon. Warum also nicht? Er kann sich jetzt zumindest nicht mehr brüsten, niemals ehrlich Geld verdient zu haben, denn ein Buch zu veröffentlichen ist mehr als legal ;-)


FAZIT

Ein durch und durch faszinierendes Portrait, das Recht und Unrecht scheinbar auf den Kopf stellt und die Welt aus Sicht eines millionenschweren Hochstaplers zeigt. Spannend zu lesen, voller interessanter Erfahrungen und Einblicke. Allerdings sollte das Buch unbedingt mit kritischem Blick gelesen werden, denn der Journalist versteht ebenso wie der Protagonist, den Leser geschickt auf seine Seite zu ziehen.

SaschaSalamander 27.05.2013, 09.31 | (0/0) Kommentare | PL

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