SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Zombie-Zahnarzt

KLAPPENTEXT: Dunkelheit hatte sich über die Stadt gesenkt. Merkwürdige Dinge geschahen. Kinder legten beim Zubettgehen einen Zahn für die Zahnfee unter ihr Kopfkissen, doch am nächsten Morgen fanden sie ... eine tote Schnecke, eine lebende Spinne, Aberhunderte Ohrwürmer, die unter dem Kissen herumkrabbelten. Hier war Böses am Werk. Aber wer oder was steckte dahinter?




VORAB / AUTOR

GANGSTA-OMA von David Walliams hatte mir als Hörbuch recht gut gefallen, und >KICKER IM KLEID< hatte mich als Buch restlos begeistert. Das Genre schräger Bücher liebe ich sehr, vor allem wenn Bild und Text eine Einheit ergeben. Nonsens-Literatur möchte ich ZOMBIE-ZAHNARZT nicht nennen, aber es hat doch sehr viele Elemente hiervon, und ich feiere diesen Anteil! 

DAVID WALLIAMS ist Teil des Teams LITTLE BRITAIN, aber inzwischen schätze ich ihn auch als Autor von Kinderbüchern. Den Vergleich mit Roald Dahl konnte ich bisher nicht ganz nachvollziehen und fand es etwas hoch gegriffen, aber nach ZOMBIE-ZAHNARZT kann ich das nur absolut unterstreichen! In der Reihe meiner liebsten Kinderbuch-Autoren hat er sich inzwischen einen der vordersten Ehrenplätze ergattert.


ÜBERSETZUNG

Das Buch wurde übersetzt von Bettina Münch. Einen Vergleich zum britischen Original habe ich nicht, und ich bin zudem verwöhnt von Harry Rowohlt, dem Meister der intelligenten Sprachspielereien. Daher war ich sehr vorsichtig. Und, ich wurde positiv überrascht, ich habe viel über die Wortwitze und passenden Begrifflichkeiten gelacht. Denn es gibt in diesem Buch sehr viele zusammenfabulierte Worte, als Running Gag stets markiert mit "Fabelwort-Alarm", da haben Walliams und Münch sich ordentlich ausgetobt ;-)

Sogar das Dankeschöns zu Beginn (was man sonst am Ende findet und was eh keiner liest) hat mir so gut gefallen, dass ich es vollständig gelesen habe. Es beginnt mit den Worten "Einige sehr wichtelante Bedankeschöns. Zu allererstens für den großbedeutenden Tony Ross, der meinen Text mit seinen wunderfantasieonellen Illustrachnungen wieder einmal zum Leben erweckt hat. [...] Ann-Janine Murtagh, für ihre Glaubungen an mich und meine Buchichten"


CHARAKTERE

Gleich zu Beginn gibt es Zeichnungen von allen Protagonisten und den meisten Nebencharakteren. Das stimmt den Leser perfekt auf die Geschichte ein, und auch die Namen sind witzig gewählt, etwa der glatzköpfige Lehrer, Herr Kraushaar. Schon vor dem Lesen mag man die Charaktere, weil der Zeichner ihnen witzige Details verpasst hat, sie sehr gut karikieren und ihr Wesen einfängt. 

Es gelingt Walliams, in wenigen Worten die auftretenden Personen knapp und präzise zu beschreiben. Alfie und seinen Vater muss man einfach mögen, und vor allem die Interaktion zwischen den beiden verdient besondere Anerkennung. Es ist wunderschön und zugleich traurig, wie der Junge seinen Vater pflegt, denn die Mutter ist verstorben und der Vater sitzt im Rollstuhl. Der Vater ein mental starker Mann, voller Kreatitivät und Liebe zu seinem Sohn, und Alfie im Herzen zwar ein Kind aber in vielen Dingen schon so erwachsen. Die Charaktere sind so realistisch und menschlich, dass man sich sehr gut in ihnen wiederfinden kann, und ohne Zeigefinger vermittelt der Autor dabei grundlegende Werte wie Freundschaft, Zusammenhalt, Loyalität und viele mehr.


HUMOR

Walliams zeigt hier einen bitterbösen schwarzen Humor, wie Kinder ihn lieben. Sogar als Erwachsener habe ich sehr oft das Gesicht verzogen vor Ekel, Schmerz oder anderen angenehm-schaurigen Gefühlen. Es macht richtig Spaß, sich hier auf die Vorstellungen einzulassen, etwa die Beschreibung der Schmerzskala beim Zahnarzt, das unvorstellbare Grauen des gelben Zehnagels eines alten Mannes, ein riesiges Stück Wundschorf unbekannter Herkunft (möglicherweise nicht von einem Menschen) oder eine dreckige alte Warzensocke. Bereits das erste Kapitel, in dem Alfies Angst vor dem Zahnarzt bis zurück zu ihren Wurzeln (OH GRAUS!!!) verfolgt wird, lockte mir so manches Ächzen und Keuchen hervor, und ich stelle mir all die Kindergesichter vor, die vor Verzückung und mit Schaudern dem Vorleser lauschen. 

Und natürlich geht es rotzfrech zu, da gibt es z.B. die "Schlüpfer-Affaire" und "die Rückkehr der Schlüpfer-Affaire", das Mädchen Gabz wirft mit Worten wie Furzknoten um sich, und die Sozialarbeiterin kann nach dem Genuss von Kaffee die Toilette nicht mehr verlassen. Dabei verlässt Walliams manchmal ganz bewusst die Grenze des guten Geschmacks, bleibt aber immer kindgerecht und lustig.

Es wird hier viel mit Übertreibungen gearbeitet, sodass trotz mancher tatsächlich grusliger oder ekliger Momente die Kinder viel Spaß dabei haben und auch erkennen, dass es nicht real ist. Allein die Ausreden, weshalb der Bus nicht rechtzeitig ankam, warum die Hausaufgaben vergessen wurden, wie man sich bis zum Eintreffen der Zahnfee wachhalten könnte, ich kann gar nicht aufhören begeistert all die lustigen Ideen des Autors aufzuzählen!

Aber ich denke, manche Kinder werden hier, gerade da es um einen Zahnarzt geht, ganz schön an ihre Belastungsgrenze gebracht. Wer sehr empfindliche Sprösslinge hat, sollte vorher selbst einmal in das Buch linsen. Kinder, die gepflegten Grusel lieben, werden allerdings absolut auf ihre Kosten kommen, vor allem bei dem schaurigen Endkampf!

Um den Humor zu verdeutlichen, möchte ich ihn ausnahmsweise gerne einmal vergleichen: er erinnert mich vor allem an Roald Dahl, >ANDY STANTON<, >PHILIPP ARDAGH<, >CHRIS RIDDELL<, >PAUL STEWART<und andere oft britische Autoren ähnlichen Stils. 


WÄRME / HERZLICHKEIT / MENSCHLICHKEIT

Bei all dem Grusel, Ekel und den wilden Verfolgungsjagden, die der abgebrühte Leser dieses Mal vorgesetzt bekommt, ist das Buch aber vor allem durch und durch warm und voller Menschlichkeit. Die Armut der Familie Griffith erinnert an Charlies Familie in CHARLIE UND DIE SCHOKOLADENFABRIK, und es zerreißt dem Leser das Herz, wenn die Sozialarbeiterin den letzten ranzigen Keks futtert, der eigentlich das morgige Abendessen sein sollte. Der Strom wurde schon lange abgestellt, als Möbel dienen Kisten, und doch sind Vater und Sohn voller Stolz, weil sie nämlich etwas viel Wichtigeres besitzen: sie halten zusammen! Die Liebe, mit der der Vater seinen Sohn überschüttet, und die Hilfsbereitschaft, die das Kind für ihn an den Tag legt, ist einfach herzerwärmend.

Deswegen rinnt dem Leser schon mal eine Träne von der Wange, wenn er erfährt, dass Alfie wegen seiner kaputten Klamotten gemobbt wird, oder wenn er eine Strafarbeit wegen angeblichen Schwänzens bekommt, weil er eigentlich ein neues Rad für den Rollstuhl holen musste. Ein Beispiel dafür, wie traurig und realistisch das Buch manchmal ist: "Alfies Familie bestand aus zwei Personen. Es gab nur ihn und seinen Vater. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben. Er hatte sie nie kennengelernt. Manchmal fühlte sich Alfie traurig, als würde er seine Mutter vermissen, doch dann fragte er sich, wie er jemanden vermissen konnte, den er nie kennengelernt hatte". (S. 24)

Und, als kleine Warnung zum Schluss, weil mich das damals bei GANGSTA-OMA überraschte und auch bei ZOMBIE-ZAHNARZT sehr traf: Walliams hat keine Hemmungen, wichtige und geliebte Personen seines Buches sterben zu lassen. Ja, es gibt immer ein Happy End, denn das Leben geht weiter, und alle sind versorgt. Aber es kann auch mal ein Unfall geschehen, ebenso gibt es alte oder kranke Menschen, die sterben müssen, der Tod ist ein tragischer Teil des Lebens. Wen das bei Kinderbüchern stört, der sollte hier vorsichtig sein (was ich schade fände, denn Walliams hat tatsächlich das Zeug, neben Roald Dahl zu bestehen und sollte in jedes Kinderbibliothek gehören). 


ZEICHNUNGEN


Während bei >KICKER IM KLEID< >Quentin Blake< die Feder führte, war es dieses Mal Tony Ross. Die Zeichnungen passen perfekt zum Text. Teilweise bilden Bild und Text eine Einheit, manchmal ergänzen die Figuren und Szenen den Inhalt. Oft finden sich auch Tabellen, Skalen oder Schautafeln, anhand derer etwas genauer erklärt wird. Manche Bilder erstrecken sich über zwei Seiten, sodass die 400 Seiten des Buches dennoch in kurzer Zeit gelesen sind. 

Bei den anderen Büchern dieser Art vermisse ich die Farbe nicht, die Skizzen genügen. Aber hier hätte ich mir stellenweise tatsächlich bunte Bilder gewünscht, weil hier oft mit Farben gespielt wird, etwa bei der quietschbunten Sozialarbeiterin, oder bei all den ekligen Beschreibungen. Ein paar einzelne Farbbilder hätten das bestimmt noch intensiviert ;-)


FAZIT

Perfekt zum Vorlesen, witzig zum Selberlesen, für Kinder und für junggebliebene Erwachsene. Ich finde gar nicht genug lobende Worte für David Walliams. Ihm gelingt die große Kunst des Schreibens für Kinder: über sich selbst und die Erwachsenen lachen, dafür die Kinder umso mehr ernst nehmen. Seine Bücher quellen über vor Herzlichkeit, Hirn und Humor!

SaschaSalamander 31.07.2017, 08.47

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