SaschaSalamander

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Thema: Rezensionen Hörbuch

Die Landkarte der Zeit

palma_landkarte_1.jpg"Die Landkarte der Zeit" ist ein Buch, das mich aus vielen Gründen sofort angesprochen hat, als ich nur Cover und Klappentext zur Hand hatte: Zeitreisen sind immer ein spannendes Thema. Das viktorianische London ist eine wunderbare Kulisse für unheimliche Geschichten.Ein ungewöhnlicher Bibliothekar soll auch darin vorkommen. Und passend zum Zeitalter Ende 19tes Anfang 20tes Jahrhundert bestimmt auch viel Dampfmaschinen und Steampunk-Elemente. Ein Roman wie für mich gemacht!

Die Handlung lässt sich am besten in den drei Abschnitten beschreiben, in welche das Buch auch gegliedert ist: im ersten Teil erfährt der Leser von einem jungen Adligen, der sich in eine Prostituierte verliebt. Doch leider befinden wir uns im Zeitalter von Jack the Ripper. Nach dem Verlust seiner großen Liebe will er nun seinem Leben ein Ende setzen, doch sein Cousin hat eine grandiose Idee: mittels einer Zeitreise zurück an den Tag des Geschehens und die grausige Tat verhindern!

Danach erfährt man, wie ein junges Mädchen ihres Lebens in diesem Jahrhundert leid ist. Sie will nicht nur braves Mädchen sein müssen, heiraten, Kinder kriegen, sie will Abenteuer. Da bietet es sich an, die neue Zeitreise zu testen, welche nun endlich möglich wurde dank der Firma "Zeitreisen Murray", und sie beschließt niemals in ihr Jahrhundert wiederzukehren.

Der dritte Teil ist der komplexeste, in welchem alle Handlungsfäden zusammenlaufen. Grob lässt er sich damit umreißen, dass ein Polizist ein Verbrechen klären will, welches mit Waffen aus der Zukunft verübt wurde. Dieser Teil beinhaltet vor allem ethische, philosophische, futuristische Inhalte und sprengt die Grenzen jeglichen Genres: Sci-Fi? Fantasy? Krimi? Viktorianischer Grusel? Abenteuer? Drama?

Soviel bereits zur Handlung, und im Grunde habe ich gar nichts gesagt. Denn obige Beschreibung ist lediglich ein Versuch, es zu umschreiben. Das, was tatsächlich geschieht, darf ich nicht schreiben, sonst würde ich nur spoilern. Nur soviel: in diesem Buch ist nichts, wie es scheint, und der Leser wird bis zur letzten Seit im Unklaren gelassen. Der olympische Ich-Erzähler dirigiert uns mal hierhin, mal dahin, dann plaudert er wieder über Belangloses, nur um im nächsten Moment eine unerwartete Wende zu bringen und uns so richtig aus dem Sessel zu reißen vor Überraschung. Jedesmal, wenn ich dachte "aaaah, endlich habe ich verstanden, was das alles soll", passiert wieder etwas anderes, das alles über den Haufen wirft! Und wenn man dann am Ende alles begriffen hat, sind die letzten Absätze erneut eine Wende, die man erstmal verdauen muss und die man auch im ersten Moment nicht wirklich begreift. Man muss darüber nachdenken. Und dann muss man sich eingestehen, dass es eigentlich nicht immer notwendig ist, alles zu begreifen und es manchmal mehrere Möglichkeiten gibt. Wer sagt denn, dass alles immer eindeutig sein muss?

Dieses Buch habe ich nur sehr ungern aus der Hand gelegt (naja, die Kopfhörer aus den Ohren genommen). Egal, an welcher Stelle ich pausieren musste, es war gerade so spannend, dass ich den nächsten Moment kaum abwarten konnte und in der Zwischenzeit kaum an etwas anderes dachte als daran, wie es wohl weitergehen könnte und ob diese neue Information eben etwa bedeuten könnte, dass ... (nur, um dann beim Weiterhören erkennen zu müssen, dass ich wieder einmal an der Nase herumgeführt wurde).

Ich selbst war absolut begeistert von dem Buch, und ich zähle es schon jetzt zu den Highlights 2010 für meine persönliche Leseliste. Allerdings kann ich verstehen, wenn nicht jeder sich mit diesem Titel anfreunden kann. Es ist ein wilder Genremix, und gerade für Leute, die gerne im Klaren sind, was sie eigentlich lesen, ist es eher ungeeignet (manch einer mag zum Beispiel Fantasy, liest aber nicht gerne historisch. Mag Scifi aber nur die moderne Variante). Die Sprache gefällt mir sehr gut, sie wirkt ein wenig altbacken, die Sätze sind stellenweise recht verschachtelt. Sie passt eben in die Zeit, und das alte London wurde vor meinen Augen lebendig. Aber man muss sich darauf einlesen, kann es schwer nebenbei konsumieren. Außerdem braucht man recht viel Geduld. Denn die Haupthandlung entwickelt sich sehr langsam, kommt erst im dritten Teil ins Rollen, die ersten beiden sind lediglich nette Geschichten zur Vorbereitung des Hauptspektakels am Ende.

"Die Landkarte der Zeit" ist ein unglaubliches Buch, das ich jedem ans Herz legen möchte, der gerne kreative Romane liest und aufgeschlossen ist für eine bunte Mischung. Für jeden, der sich gerne zurücklehnt und gespannt einem ruhigen, flüssigen Erzähler lauscht und der auch kein eindeutiges Ende erwartet. Dieses Buch ist die literarische "Katze im Sack", und man sollte sich darauf einlassen können, einfach nur abzuwarten, was passieren wird. Geduld, liebe leser, dieses Buch ist es wert!

SaschaSalamander 06.12.2010, 11.39 | (0/0) Kommentare | PL

Biss zum ersten Sonnenstrahl

meyer_bissspinoff_1.jpg"Spin Off" nennt man es, wenn aus einem Buch oder Film bestimmte Elemente oder Figuren herausgenommen werden und einen eigenen Auftritt in Roman, Film oder Serie bekommen. So ist "Beedle der Barde" eigentlich eine kleine Randerscheinung in Harry Potter. Der "King of Queens" tauchte erstmals in der Serie "Hör mal, wer da hämmert" auf. Und viele Beispiele mehr, aber um die soll es nicht gehen.

Diesmal geht es um die Bestseller von Stephenie Meyer. Bella und Edward dürften inzwischen fast jedem Fan des Genres bekannt sein, und sie spalten fleißig die Gemüter in Liebhaber des Genres und diejenigen, die es nicht mehr sehen können.

Ungeachtet dessen sind die Bücher ein riesiger Erfolg. Mit sinnlosen Fortsetzungen kann man Geld verdienen, kommt aber nicht so gut beim Publikum an. Besser also Spin-Offs, die zusätzliche Geschichten erzählen. Bree Tanner ist ein neugeborener Vampir, welcher im dritten Band gegen die Cullens kämpfen soll, sich jedoch ergibt und bei ihnen leben möchte. Ihr tragisches Ende ist den Fans der Reihe leider bekannt und stellt kein großes Geheimnis mehr dar.

Im Buch "Biss zum ersten Sonnenstrahl" wird nun das kurze Leben dieser Jungvampirin geschildert. Sie lernt Diego kennen, der ihr von einer faszinierenden Beobachtung erzählt. Außerdem überlegen sie beide, warum wohl so viele neue Vampire geschaffen werden, ob sie vielleicht eine neue Armee werden sollen. Doch gegen wen? Und warum? Diego beschließt mit dem Anführer zu reden und verschwindet plötzlich. Bree steht nun alleine und muss sich den kämpfenden Vampiren anschließen.

Es ist überaus spannend, weitere Hintergründe zu den Biss-Romanen zu erfahren. Denn im Hintergrund verliefen wohl einige Fäden, die sich dem Leser bisher nicht erschlossen, und obwohl der dritte Band auch ohne dieses Werk komplett wäre, ist es doch eine packende Ergänzung. Ein kleiner Bonus, den man als Fan auf keinen Fall verpassen sollte und der die Geschichte richtig schön abrundet. Traurig, tragisch, aber doch romantisch. Eben so, wie die anderen Bücher auch sind.

Mag sein, dass Stephenie Meyer damit den Verkauf ihrer Bücher ankurbeln wollte. Mag sein, dass sie einfach nur ein eigenes Buch mit Hintergrundinfos herausbrachte, die sie schon hatte und nicht im Hauptwerk unterbringen wollte. Egal, wem die anderen Bücher gefielen, der wird an diesem Titel auf jeden Fall seine Freude haben. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, mir persönlich gefiel dieses Buch sogar etwas besser als die anderen. Während mich in den anderen vier Bänden die ganzen Verstrickungen irgendwann nerven (Jakob oder Edward, Vampirwerden oder Menschsein, Sex vor der Ehe oder doch lieber warten, eben das übliche Gerangel endloser Lovestories), ist hier die Geschichte kurz, prägnant und knackig ohne Umschweife.

(Soll nichts gegen lange Erzählungen in mehreren Bänden sein. Allerdings ist das Mode geworden, und ich bin der Ansicht, dass weniger manchmal mehr ist. Aber das ist Geschmackssache)

Also, kurz gesagt: ein wirklich lohnenswertes Büchlein, das jede Bella- und Edward-Sammlung endlich vervollständigt.

SaschaSalamander 24.11.2010, 18.27 | (0/0) Kommentare | PL

Der Mädchenfänger

hoffmann_maedchenfaenger_150_1.jpgLainey Emerson ist 13, und sie wäre gerne älter. Sie hätte gerne mehr Erfahrungen, möchte nicht die letzte Nachzüglerin in ihrer Klasse sein, wenn von Küssen und Erotik geredet wird. Außerdem geht ihr kleiner Bruder ihr gewaltig auf die Nerven. Die Mutter kümmert sich nicht um sie, und der Stiefvater wird zudringlich. Lainey möchte einfach nur raus, und im Internet kann sie endlich das Mädchen sein, das sie gerne wäre: älter, reifer, selbstbewusster. Und so trifft sie auf den 17jährigen Zach, sie verliebt sich Hals über Kopf und schickt ihm Fotos, auf denen sie älter aussieht. Bald beschließt sie ihn live zu treffen, doch sie getraut sich nicht, ihrer Mutter und ihrer Freundin davon zu erzählen, und so macht sie sich alleine auf den Weg ...

was dann geschieht, muss ich wohl nicht ergänzen, das kann der geübte Krimileser sich nun selbst ausmalen: Zach ist in Wirklichkeit ein Serientäter, der im Internet Mädchen wie Lainey ausfindig macht und dann sein böses Spiel mit ihnen treibt. Bisher wurde keines von ihnen wirklich gesucht, sie alle schienen Ausreißerinnen zu sein, zu geschickt hatte er sein Netz gewebt. Doch diesmal findet die Polizei eine Spur, und man beginnt Jagd auf den "Mädchenfänger zu machen". Ein Journalist wird als Übermittler der Nachrichten des Täters genutzt, und der Polizist ist durch das Verschwinden seiner Tochter vor einem Jahr persönlich betroffen und hofft sie nun doch noch aus den Fängen des Wahnsinnigen zu retten ...

Ein solider Krimi, wie ich ihn von Jilliane Hoffmann (Cupido, Morpheus) erwartet hatte. Das Thema bekannt und immer wieder gut, da brandaktuell. Die Charaktere sympathisch, kaum eine ruhige Minute zum Durchatmen, wenn neue Hinweise auftauchen oder man aus Sicht des gefangenen Mädchens das Geschehen verfolgt.

Ein Novum ist dieser Roman nicht. Aber er ist geschrieben wie aus dem Lehrbuch, und während des Lesens ist es wirklich spannend. Was allerdings auffällt: es ist schon einige Wochen her, und wenn ich nun den Titel höre, weiß ich zwar, dass ich den Roman gelesen habe, doch für den Inhalt muss ich erst mal wieder kurz im Web stöbern, worum es nochmal ging. Heißt für mich, er war sehr unterhaltsam und spannend, aber doch hob er sich nicht aus der Masse der anderen Krimis hervor.

Wer einfach eine super Unterhaltung will, ist hier bestens bedient: ganz klassisch im Aufbau, eben ein prima Pageturner zum Mitfiebern, ob man mit seiner Vermutung recht hat (und wer viele Romane dieser Art liest, kennt den Täter in der Regel recht bald), sich dann bestätigt zu fühlen, sich zufrieden zurücklehnen, vielleicht sogar eine Nacht durchgelesen. Und dann beiseite legen, vorbei. Prima Schreibstil, nette Story, parallele Handlungsfäden mit sich steigernden Cliffhangern, genau richtig eben zur seichten und doch packenden Unterhaltung ...

SaschaSalamander 23.08.2010, 15.40 | (0/0) Kommentare | PL

Glennkill

swann_garou_150_1.jpgDer Roman "Glennkill" hatte mich einfach nur begeistert damals. Miss Maple ein herrlich schrulliges Schaf, dazu ihre Gefährten Mopple the Whale, Sir Richfield und die anderen. Ich mochte die vier. Als dann ihr neues Buch "Garou" erschien, musste ich sofort "hier" schreien, um möglichst vorne auf der Liste der Reservierungen  in der Bib zu landen (schließlich will ich Neuerscheinungen immer so früh als möglich lesen *g*). Und weil das Hörbuch von Andrea Sawatzki gesprochen wird, wollte ich diesmal das Hörbuch. Vielleicht war das ausnahmsweise eine Fehlentscheidung ... aber erst einmal zum Buch selbst:

Rebecca, die Tochter des Schäfers, hat die Schafe nach dessen Tod (siehe Teil 1) geerbt und zieht mit ihnen nun durch Europa. Sie ist in Frankreich gelandet, und wurde sie anfangs richtig umworben auf diese Weide zu kommen, wird es nun recht schnell unheimlich. Denn angeblich soll ein Garou umgehen, ein Werwolf. Damals riss er erst Rehe, dann Schafe, dann Menschen. Und nun wurden Rehe getötet, und es sieht so aus, als würde er bald Schafe und Menschen jagen. Die Schafe müssen den Garou finden, aber wie findet man einen Wolf, der sich in einem Menschen versteckt? Und auch, wenn Rebecca nicht an dieses Wesen glaubt, muss sie am eigenen Leib erfahren, dass er ihr gefährlich wird und sie verfolgt. Nun ist es also an den Schafen, den Werwolf zu finden.

Hm, zugegeben fiel es mir eben schwer, die Inhaltsangabe zu schreiben. Was teilweise daran liegt, dass es sehr verstrickt ist und sehr viele Stränge hat (für mein Empfinden). Ich weiß jedoch nicht, ob dies stimmt, oder ob es an mir lag (kann ja sein, dass ich grad zu abgelenkt war), oder ob es an der CD lag. Allerdings habe ich einige Rezensionen im Internet gefunden, die mich darauf schließen lassen, dass es an der CD lag, denn meine Einschätzung teilen einige anderen Hörer mit mir.

Zum einen, nicht störend aber auffällig die Wiederholungen. Viele Sätze oder Absätze werden doppelt gesprochen. Da scheint beim Abmischen ein Fehler passiert. Anfangs habe ich die CD genau angeguckt, ob sie kaputt ist, ob beim Abtasten was passiert ist, aber sie scheint okay, es wurde einfach falsch aufgenommen oder abgemischt. Und dann hatte nicht nur ich das Problem, dass vor allem zu Beginn des Romanes manche Passagen seltsam wirkten. Als hätte man stark gekürzt an den falschen Stellen. Als hätte man Absätze übersprungen oder irgendwo mittendrin eingesetzt. Ich kam nicht immer mit und verlor sehr schnell den Faden, klickte manchmal ein paar Kapitel zurück, ob ich etwas verpasst hatte, was aber nicht der Fall schien. Wie gesagt, habe ich in mehreren Beiträgen der Hörer von ähnlichen Problemen gelesen. Ich weiß nicht, ob dies am Buch lag, oder ob die CD bzw die Abmischung Schuld war ...

zum restlichen Buch: schon im ersten Band waren mir die Wollwuschel sympathisch, aber im zweiten lernte man sie noch besser kennen, wurde sie zu noch ausgeprägteren Persönlichkeiten, die man einfach nur gernhaben muss. Besonders mochte ich das Winterlamm und die Ziege Maduk. Ja, die Ziege. Denn in diesem Band bekommen die Schafe Nachbarn, nämlich Ziegen. Es gibt da einige Startschwierigkeiten zwischen beiden Parteien, aber dann müssen sie sich im Kampf gegen den Garou zusammenschließen. Herrlich, ich mag die Ziegen eigentlich noch mehr als die Schafe, sie sind ein wenig arrogant, herrlich durchgeknallt und irgendwie auch ein wenig wahnsinnig. Keinen Plan, keine Ahnung, aber immer mit dem Kopf gegen die Wand in die falsche Richtung. Einfach köstlich, mit welcher Selbstsicherheit die stinkenden Hornträger ihre Meinungen verteidigen. Und wenn sie etwas nicht wissen, dann wird eben abgestimmt, wer der Mörder sein muss ...Schafe wollen. Ziegen wissen. So ist das.

Die Menschen dagegen waren mir diesmal sehr fern. Rebecca ist sympathisch, aber darüber kommt es für mich nicht hinaus. Die Mutter ist eigenwillig, schrullig, ganz nett. Aber das war es dann auch. Es war für mich sehr verwirrend, zwischen all den realen Namen, den von den Schafen gegebenen Namen und den handelnden Personen zu unterscheiden, dem Inhalt zu folgen.

Die Sprecherin Andrea Sawatzki ist genial, sie vermag es den Schafen Persönlichkeit und Leben einzuhauchen, jedem mit einger Stimme und eigenem Tonfall. Auch die Ziegen klingen komplett anders, ich mag den Klang der Ziegen sehr. Sawatzki ist sowieso meine liebste weibliche Sprecherin, und ich könnte hier Lobeshymnen auf ihre Spritzigkeit anstimmen, auf ihre Wandelbarkeit, ihren Ausdruck, ihre Lockerheit, aber das würde den Rahmen sprengen.

Doch so großartig Sawatzki auch sein mag, halte ich das Hörbuch für mich für die falsche Entscheidung im Nachhinein. Wenn ich die Namen gelesen hätte, dann wären sie mir besser im Gedächtnis geblieben. Dann wäre es einfacher gewesen zurückzublättern, wenn ich etwas nochmal nachlesen wollte. So aber habe ich mich durch die CDs gekämpft und ständig gehofft, dass ich irgendwann Klarheit bekommen und die Handlung sich für mich auflösen würde, was aber nicht geschah.

Im Grunde ist Garou ein absoluter Genuss, ebenso wie das erste Buch. Allerdings weit verstrickter und komplexer. Daher empfehle ich, in diesem Fall unbedingt das Buch zu lesen. Oder, wenn schon das Hörbuch zu hören, dann nicht während des Autofahrens oder der Hausarbeit, sondern in Ruhe ohne Nebenbeschäftigung, um auch wirklich nicht den Anschluss zu verlieren.

SaschaSalamander 13.08.2010, 09.42 | (0/0) Kommentare | PL

Nein ich will keinen Seniorenteller

Häufig stößt man momentan auf dieses Cover, und da kann man ja nur neugierig werden bei diesem trotzigen Buchtitel, der witzigen Skizze. Was das Cover allerdings nun mit dem Buch zu tun hat, war mir nach der Lektüre dann doch noch immer nicht klar. Abgesehen davon, dass es wohl Leser anziehen sollte, was ja auch funktioniert. In nicht wenigen Beiträgen anderer Rezensenten lese ich heraus, dass das Cover neugierig machte und man dann mal reinlesen wollte ...

Marie Sharp ist eine Dame, die kurz nach Beginn des Buches ihren 60ten feiert. Hiermit ist sie nun offiziell Seniorin. Darf kostenlos mit den Öffentlichen fahren, zahlt keine Rezeptgebühr mehr, bekommt Ermäßigungen im Eintritt bei Museen, Schwimmbädern, Fitnessstudio und derlei Freuden mehr. Aber sie sieht das Altwerden dann doch ganz anders als die meisten ihrer Bekannten. Sie will keiner von diesen "modernen" Alten sein, die jetzt auf einmal geschäftigt werden, die Welt bereisen, Volkshochschulkurse besuchen, sich für ein Studium einschreiben, ins Fitnessstudio gehen und derlei Grauen mehr. Nein, Marie will endlich genießen, dass sie alt und kauzig sein darf. Sie will nichts Neues lernen, sie will sich endlich ausruhen! Sie pfeift auf die Ermäßigung des Monatsbeitrags im Fitnesstempel und freut sich vielmehr über die erlassene Rezeptgebühr. Ihr ist klar, dass sie nicht jünger wird, sie will sich nicht unnötig kaschieren. Verdammt, sie ist alt und hat ein Recht darauf, alt zu sein! Und so erlebt sie, wie die Geburt ihres Enkels sie langsam zu verändern beginnt, sie begleitet einen kranken Freund in den Tod, eine alte Jugendliebe entflammt neu, und nebenbei leistet sie Ratgeberin beim Liebeskummer ihrer französischen Au-Pair-Untermieterin.

Tja, meine Meinung ist gemischt. Erstmal war ich begeistert von der Sprecherin, Hannelore Hoger. Sie war wirklich ein großer Wurf, ich kann mir keine bessere Stimme vorstellen für dieses zynische Buch. Auch fand ich es schön, mal eine Gegenstimme zu den "neuen Alten" zu lesen. Denn so, wie Frauen- und Männerbilder heutzutage immer mehr in Klischees abdriften und man sich von Werbeplakaten und Medien überrollt fühlt, wenn man nicht diesen gesellschaftlichen Erwartungen entspricht, so werden auch die Senioren in ein neues Korsett gepresst, sie sind eine neue Zielgruppe geworden für alle möglichen Bereiche wie Wellness, Fitness, Urlaub und sonstiges. Aber es gibt sie noch, die ganz "normalen" Herbstler, die einfach nur gemütlich den Ruhestand genießen wollen ohne Hektik, Erwartungen und Fitness. Die sich ihr Leben lang zusammengerissen haben und jetzt einfach nur sie selbst sein wollen, ohne ständig Rücksicht auf Chef, Kinder, Familie zu nehmen.

Der Humor gefällt mir sehr. Er ist recht bösartig, aber zwischen den Zeilen wird ihm dann doch die Schärfe genommen. Äußerlich ist sie verbittert, zynisch, manchmal wirkt sie sogar hartherzig. Knallhart sagt sie ihren Freunden Dinge ins Gesicht und sprengt damit eine Party. Mag dieses Babygebrabbel und Omagetue gar nicht, Kinder sehen alle gleich aus. Alte Liebe, pah, Senioren brauchen keinen zweiten Frühling, endlich hat sie genug von Männern und kauft sich sogar ein Einzelbett! Aber wenn sie für sich ist, dann schmilzt ihr Herz beim Anblick von Baby Gene, und die Gedanken an ihren Schwarm beschäftigen sie mehr, als sie sich eingestehen möchte. Ja, ihr ist klar, dass ihr Freund sterben wird, sie ist kühl und rational, aber innerlich vermisst sie ihn sehr und sorgt sich um ihn, will ihm den Prozess des Sterbens erleichtern. Und wenn sie offen auf der Party über die lästigen Gesprächsthemen Alterszipperlein, zuletzt gesehener Film, zunehmende Gewalt auf den Straßen, Erinnerungen an früher schimpft und ihre Freunde vor den Kopf stößt, so erzählt sie in ihrem Tagebuch selbst wenige Minuten später, welches Gebrechen sie gerade plagt und erinnert sich, wie es damals war.

Ich mag Marie, sie wäre eine der Damen, die mir gefallen könnten. Trotzdem weiß ich nicht so recht etwas mit dem Buch anzufangen. Es gibt ein paar rote Fäden (ihr Enkel, die Untermieterin, der kranke Freund, der Jugendschwarm), aber im Grunde ist es eine Sammlung von Gedanken und Eindrücken, weniger eine Handlung als vielmehr gesammelte Momentaufnahmen. Eben ein Tagebuch, wie es der Titel sagt. Das heißt, es fehlt ein wenig die Spannung im Plot. Ich hätte das Hörbuch problemlos für ein paar Tage beiseite legen können und irgendwann weiterhören, Pause, Hören etc. Es war nett zu hören. Aber es war nicht gerade fesselnd.

Nun vermag ich aber nicht zu sagen, ob es am Buch selbst liegt, oder ob es daran liegt, das mir Jugendfantasy oder junge Erwachsene einfach näher sind im Erleben und mir zu diesem Buch ein wenig der Zugang fehlt? Meine Oma wird dieses Buch bestimmt lieben, sie ist 80, geistig topfit aber trotzdem mit der Einstellung "immer langsam, ich hab ja jetzt Zeit". Ich vermute, dass sie damit etwas mehr anfangen kann als ich, weil ihr orthopädische Schuhe, Beerdigungen, Enkelkinder, nachlassendes Gedächtnis und ähnliche Dinge einfach näher sind als mir. Ich denke, ich werde es ihr demnächst zum Geburtstag schenken :)


SaschaSalamander 12.07.2010, 09.43 | (0/0) Kommentare | PL

Lilienblut

herrmann_lilien_150_1.jpgDer Titel "Lilienblut" macht neugierig, das Cover sieht wunderhübsch. Und es liegt bei den aktuellen Titeln der Jugendliteratur. Klar, dass ich neugierig wurde. Ich habe mich gar nicht weiter um Inhalt oder Genre gekümmert, sondern mich völlig unbefangen auf das Buch eingelassen. Darüber bin ich sehr froh, und ich habe die Zeit genossen, habe nebenbei gemalt, gearbeitet, einfach nur daglegen und gelauscht.  Die Autorin war mir bis dahin unbekannt, aber ich werde mich nun näher mit ihr beschäftigen (bei Amazon gibt es ein Interview mit ihr sowie den Ausschnitt der Lesung), auch ihre anderen Werke lesen. Hoffentlich schreibt sie bald ein neues Jugendbuch! Es ist eines der wenigen Bücher, die in mir nach dem Lesen ein Gefühl der "Leere" weckten. Das Buch ist gelesen, und ein anderes direkt im Anschluss möchte ich nicht, ich muss jetzt eine Pause machen, dieses Buch sacken lassen. Es hat mich berührt, und ich möchte nicht irgendetwas anderes hinterdrinschieben, solange der süße Geschmack des Rheinweins noch in mir ist ...

Sabrina ist 16 Jahre alt, und an ihrem 16ten Geburtstag schenkt ihre Mutter ihr einen eigenen Weinberg. Doch Sabrina ist wenig begeistert, sie sieht darin nur Arbeit, hat doch sogar ihr Vater die Mutter verlassen, "weil er nicht ahnte, was es heißt, mit einer Winzerin verheiratet zu sein". Sabrina verbringt den Rest des Tages mit ihrer Freundin Amelie in der Eisdiele und am Flussufer, wo ihnen ein geheimnisvoller Fremder auf einem Lastkahn begegnet. Amelie folgt ihm, sie wittert das Abenteuer auf dem Wasser, sie will fort. Und sie kommt niemals wieder. Denn Amelie wird ermordert, und für Sabrina beginnt eine schreckliche Zeit. Niemand will Sabrinas Schilderung der Ereignisse glauben, Tatverdächtig ist der Fremde, und Sabrina kann nichts dagegen tun. Die Polizei kommt in den Ermittlungen nicht voran, und Sabrina versucht auf eigene Weise, Licht in das Dunkel zu bringen. Was hat es mit dem Mord vor sich, der vor acht Jahren an der gleichen Stelle geschah? Warum weigern sich alle, den Lastkahn gesehen zu haben?

"Lilienblut" ist ein wundervoller Roman. Die Autorin trägt das Hörbuch selbst vor, und sie hat eine sehr gut dafür geeignete Stimme, ich könnte mir für dieses Buch keine bessere vorstellen. Normalerweise bin ich definitiv kein Freund von Autorenlesungen, die meisten sind eher eine misslunge Selbstdarstellung, doch dieses hier ist ein absoluter Tipp, und ich hoffe, dass die Autorin auch andere, nicht von ihr geschriebene Bücher vortragen wird. Ich mag ihre Stimme und ihren Stil sehr: ein ruhiger Klang, der die Handlung still und flüssig voranträgt. Wie ein gemütlicher Tag am Fluss, das Wasser plätschwert vorüber, hier und da eine Schnelle, die Vögel fliegen vorüber, die Sonne scheint, ein kühler Wind weht. So fühlt sich das Buch für mich an. Während der Schilderungen sah ich vor mir die Biegungen des Rheins, die Burgen am Ufer, ich sah die Schiffe ziehen, war mit Sabrine und ihrer Freundin auf dem Weinberg zwischen den Rebstöcken, und ich vermisste diese Gegend, die ich früher oft besuchte. Ich kenne die Region, und ich fühlte mich ein bisschen wehmütig beim Hören ...

es ist kein actiongeladener Krimi für Jugendliche, wie er heute oft vermarktet wird. auch kein Fantasyschinken. Sondern ein sanfter, stiller Roman ums Erwachsenwerden, um die erste Liebe, um ein tragisches Schicksal und ein mutiges Mädchen. Sie ist hier und da unvernünftig, wenn sie Informationen möchte, doch sie ist keine Superheldin wie die modernen Superteenager Alex Rider oder andere Spionagekids. Sondern sie ist ein ganz normales Mädchen, das sich von der Mutter unverstanden fühlt, ohne Superkräfte auskommen muss, Freundinnen hat und sich mit den Mädchencliquen der Schule herumägern muss. Keine wirkliche Antiheldin, auch keine Heldin. Einfach ein  normales Mädchen. So normal, dass sich jeder mit ihr auf gewisse Weise identifizieren kann. Auch ihre Freundinnen sind sehr sympathisch und menschlich. Amelie, das Glamour-Girl mit ihren Wünschen von Zukunft und Fernweh. Lukas, der schüchterne Junge, der so gerne ihr Freund sein möchte. Beate, die kaum Freundinnen hat und sich immer öfter mit Sabrina treffen möchte. Der geheimnisvolle Kilian, der ein schweres Geheimnis mit sich trägt.

Ich mag es, wie Sabrina "ermittelt", oder genauer gesagt nachfragt, mit Menschen redet. Spannende Momente gibt es, in denen der Leser / Hörer gebannt innehält und kaum zu atmen wagt, aber keinesfalls Verfolgungsjagden oder grausame Gewaltschilderungen. Als Sabrina die Wohnung des ehemaligen Hafenarbeiters aufsucht, erwartete ich das Schlimmste, ebenso als sie das Schiff betrat und den verschlossenen Raum öffnete. Doch ich bin überglücklich, dass die Autorin auch hier den Leser mit dem üblichen Spektakel verschont. Es gelingt ihr hervorragend, Spannung auch ohne Gewalt und Blut zu erzeugen.

Jugendliche werden sich perfekt in Sabrina einfühlen können, ihre Wege nachvollziehen können. Erwachsene würden vielleicht manchmal gerne eingreifen. Doch wie im wahren Leben, Jugendliche sind keine Erwachsenen, und Jugendliche müssen ihren eigenen Weg gehen. Der erwachsene Leser begleitet Sabrina und fühlt sich erinnert, wie es damals war, als man selbst einmal die altersbedingten Entwicklungen erleben musste.

In allem schwingt ein Hauch von Melancholie mit. Auch, wenn die Jahreszeiten im Buch wechseln, habe ich das Gefühl, als spielte alles im Herbst. Ein Hauch Vergänglichkeit, als Sabrina bereits in ihren jungen Jahren mit etwas so Tragischem wie dem Mord an ihrer besten Freundin konfrontiert wird. Wehmut, als sie nicht so recht weiß, wie sie Lukas begegnen soll und ob sie möchte, was er von ihr will. Unsicherheit, als Beate sie anspricht und ihre Nähe sucht. Zweifel, ob die Zukunft im Weinberg das ist, was sie sich wünscht. Probleme mit den hohen Ansprüchen ihrer Mutter. Und doch eine wunderbare Geschichte ums Erwachsenwerden. Mit einem Ausgang, der mich nicht sonderlich überraschte, der aber für manchen Leser eine interessante Wende sein dürfte.

Die Sprache ist sehr einfach, und passend zum Wasser wieder der Vergleich "sie fließt dahin". Keine Schnörkel, aber auch nicht zu knapp. Einfach perfekt, um darin einzutauchen und sich treiben zu lassen. Ich mag den Stil der Autorin, die präzise und ohne Umstände das Wesentliche beschreibt, ohne Eile, aber doch geradlinig und zielstrebig.

Ein Krimi, perfekt für Jugendliche in der Pubertät. Und ein Roman, wie Erwachsene ihn verschlingen, wenn sie genug haben von Gewalt, Brutalität, Verfolgung, Verschwörung, Tragik, Blut und Misshandlung. Ein Roman für Erwachsene, die sich Zeit nehmen für das Wesentliche, statt sofort zum nächsten Thrill zu hetzen.

Ein Buch, wie es mehrere geben müsste ...

SaschaSalamander 31.05.2010, 21.47 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Totengleich

french_totengleich_150_1.jpgDer Roman >Grabesgrün<, Erstlingswerk, der jungen Autorin Tana French, war auf Anhieb ein Erfolg, und auch mir hatte das Buch recht gefallen. Den Hype konnte ich nicht ganz nachvollziehen, doch es war recht nett und ließ mich auf die Fortsetzung freuen. Wobei, Fortsetzung? Ich möchte anmerken, dass die beiden Romane zwar eine Protagonistin teilen, ein Roman ohne den anderen jedoch problemlos verständlich ist. Zwar gibt es Querverweise, aber die Lektüre des ersten Bandes ist nicht erforderlich, weil es zwei eigenständige Bücher sind.

In "Totengleich" geht es nun um die Polizistin Cassie Maddox, welche im ersten Band die zweite Protagonistin neben dem Hauptcharakter darstellte. Man erfährt mehr über ihre frühere Arbeit als Undercover. Und nun holt die Vergangenheit sie ein: eine Tote wird gefunden, ihr Aussehen gleicht der Frau, die sie als Undercover  unter dem Namen Lexie spielte. Sogar die Ausweispapiere lauten auf den alten Namen, und es gibt zu viele Parallelen, als dass all dies nur ein seltsamer Zufall sein könnte. Also beschließt man, Cassie erneut in ihre alte Rolle schlüpfen zu lassen und auf diese Weise den Mörder der Frau ausfindig zu machen. Als Lexie begibt sie sich nun in die WG einiger Studenten. Anfangs nur ein Job, wird es für sie immer mehr zu einem zweiten Leben, welches sie genießt. Die Studenten werden ihre Freunde, und immer mehr zieht deren Lebensweise sie in ihren Bann. Freund oder Feind? Job oder doch Lebenseinstellung? Cassie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Aufgabe und ihren neuen Freunden. Doch dadurch begibt sie sich in große Gefahr, denn noch ist der Mörder nicht gefasst ...

Das Buch hat mich beim Lesen recht begeistert, und nachdem ich die Rezension einige Wochen nach dem Lesen schreibe, habe ich einiges bereits wieder vergessen. Dies zeugt davon, dass die Handlung fast nebensächlich war. Aber zurückgeblieben ist ein angenehmes Gefühl, und das hat das Hören von "Totengleich" für mich zu etwas Besonderem gemacht, zwar kein Meisterwerk, aber doch ein herausragendes Stück Literatur, das sich in seiner atmosphärischen Dichte von vielen anderen des Genres abhebt.

Eigentlich ist dieses Buch ja ein Krimi bzw Thriller, doch es war keine haarsträubende Spannung, es gab keinen Grusel oder einen Knalleffekt getreu dem Motto "und der Mörder ist ... tadaaaaaa". Eher ein unterschwelliges Gefühl von Bedrohung, ein banges Gefühl im Magen, das man ebenso wie die Protagonistin ignorierte, weil man als Leser / Hörer selbst die Freunde zu mögen beginnt und nicht will, dass einer von ihnen etwas Böses getan haben könnte. Alle Charaktere mit ihren schrulligen Eigenschaften wuchsen mir ans Herz, und fast wünschte ich mir, ich könnte ein Teil dieser WG (ja fast schon Kommune) sein, in einer solchen Harmonie und Freiheit leben wie diese Jugendlichen. Vor allem der lässige Erzählstil in der Ich-Form ermöglicht ein Eintauchen in das Geschehen. Tana French hat die Möglichkeiten dieses Stilmittels gekonnt genutzt.

Die einzelnen Figuren des Buches werden sehr schön beschrieben, die Autorin nimmt sich ausreichend Zeit, die Stimmung auf dem Anwesen von Whitethorn House sowie die Besonderheiten jedes Einzelnen der vier Freunde zu beschreiben. Nach und nach lernt "Lexie" zusammen mit dem Leser die Details des Hauses und der Personen kennen, und mit der Zeit entsteht ein immer deutlicheres Bild von dem, was der toten Frau wohl zugestoßen sein könnte.

Während der erste Roman lediglich "nett" und "solide" war, ist der zweite für mich schon etwas Besonderes gewesen. Er erschaffte eine subtile Spannung, die vor allem den Freunden psychologischer Krimis Freude bereiten wird. Liebhaber von actionreichen Szenen und dramatischen Effekten werden sich mit "Totengleich" wohl eher langweilen. Aber Liebhaber der stilleren Töne werden voll auf ihre Kosten kommen und finden in Tana French eine weitere Lieblingsautorin ...

SaschaSalamander 18.01.2010, 17.01 | (0/0) Kommentare | PL

Closer

cortez_closer_150.gifIch schwanke sehr, was dieses Buch betrifft. Einerseits riss es mich sehr mit, andererseits hat es auch einige gravierenden Schwächen, die nicht einfach ignoriert werden können. Doch erst einmal brav der Reihe nach, ...

Jack verlor seine Familie durch einen grausamen Serienkiller (blutrünstig, brutal, blutig, bestialisch, und so weiter). Nun ist er getrieben von einem einzigen Ziel: Rache. Und so beginnt er seinen Feldzug, indem er gemeinsam mit der Prostituierten Nicci auf die Jagd nach Serientätern geht. Sie lockt für ihn die Beute, und er "verhört" sie. Entlockt den Tätern Informationen über die Opfer und deren Tod, die er den trauernden Angehörigen zukommen lässt, wie auch er selbst noch viele offene Fragen an den Mörder seiner Familie hatte. Bald gerät er über das Internet auf die Spur des Mörders, den er so lange schon sucht, und er schleust sich in die  geschlossene  Community von irren Serientätern ein, um seinem Ziel wieder ein Stück näherzukommen. Doch sein Vorhaben ist riskant, sein zukünftiges Opfer scheint von ihm zu wissen und spielt mit ihm Katz und Maus. Wer wird am Ende siegen - Jack oder das Ungeheuer? Oder wird Jack gar selbst zu einem Monster?

Um diesen eher profanen Roman ein wenig mit Nietzsches Philosophie anzureichern: "Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." Dies ist das Kernthema des "Closer" (so genannt, weil er Fälle abschließt (to close), an welchen die Polizei bis dato erfolglos arbeitete): die Frage, ob Jack wirklich "nur" auf Rache aus ist und dann seinen Feldzug beenden wird, wenn er hat, was er wollte, oder ob er nun selbst zum Tier wird, welches einen Mord nach dem anderen begeht, süchtig nach dem Rausch des Adrenalin. Dies ist für ihn eine drängende Frage, mit diesem Thema spielt auch sein Gegner, und wegen dieser Problematik kommt es zu einem Konflikt mit Nicci. Will Jack überhaupt noch den Mörder finden, oder wurde der Weg zum Ziel?

Nun, im Grunde ist diese kurze Betrachtung eigentlich schon zuviel Ehre für diesen unterhaltsamen, aber doch eher oberflächlichen Roman. Er versucht sich stellenweise an etwas Tiefe und Inhalt, doch im Grunde geht es lediglich um das Anlocken und Töten, welches recht genüsslich zelebriert wird. Der Closer ist blutig, seine Foltermethoden sind grausam, er hat sie schließlich aus Fachliteratur über den Nationalsozialismus, moderne Kriegsführung und Folterpraktiken übernommen und wurde bald selbst kreativ. Schließlich wird der vergleichende Aspekt zwischen Kunst und Folter im Buch immer wieder hervorgehoben.

Was mir an dem Buch gefällt ist ... hm, was gefiel mir? *grübel*. Es war sehr unterhaltsam. Mal was Nettes für zwischendurch, bisschen grausam und blutig, es kann ja nicht immer nur niveauvoll und hintergründig sein. Ich hatte sehr klare Bilder vor Augen, fast als hätte ich einen Film gesehen. Und ich kann mir sogar vorstellen, dass dieses Buch sich perfekt als Drehbuch für einen recht guten Hardcore-Thriller eignet zur abendfüllenden Unterhaltung.

Hier liegt die Stärke des Buches, aber zugleich auch die größte Schwäche. Ich weiß nicht, wie die Kapitel im Roman abgetrennt sind, im Hörbuch jedoch weder durch einen Absatz noch durch eine Pause oder einen Vermerk auf das nächste Kapitel. Aus diversen Rezensionen im Web konnte ich allerdings entnehmen, dass auch im Buch selbst die Sprünge teilweise zu heftig für die Leser waren.

Ohne Punkt und Komma geht es von einer Szene zur nächsten, eben wie in einem Filmdrehbuch. Im Film jedoch sieht man die Personen und den Schausplatz, im Buch dagegen wird einfach ein neuer Dialog begonnen, und man weiß nicht so recht, wer sich gerade wo befindet, und worüber gerade diskutiert wird. Zu abrupt die Sprünge, zu schnell verliert man den Anschluss und muss höllisch aufpassen, nichts von der Handlung zu verpassen.

Dazu kommt, dass das Verwirrspiel um die Namen nach einiger Zeit fast schon zu kompliziert wird. Der Täter schleust sich in die Gemeinschaft ein, tötet einen von ihnen und übernimmt dessen Identität. So heißt er nun also in der Realität Jack, trägt den Spitznamen Closer und nimmt nun einen dritten Namen an. Tötet den nächsten und übernimmt nun auch dessen Identität im Netz. Es ist dem Leser / Hörer nicht immer klar, ob es sich nun um einen Rückblick auf einen Dialog des echten Namensträgers oder um eine neue Szene mit Jack in der neuen Identität handelt.  Und auch die anderen Serienkiller spielen teilweise doppeltes Spiel. Wie gesagt: wäre es ein Film, er wäre grandios. Für ein Buch jedoch ist das ein Stilmittel, das den Leser in einem Maß verwirrt, das irgendwann lästig wird statt für Spannung zu sorgen.

Mein Fazit? Super Unterhaltung mit großen Schwächen. Als Zwischenmahlzeit extrem lecker, als Hauptgang ungeeignet. Man muss sich auf viel Gewalt einstellen, die weniger der Handlung dient, sondern eher Selbstzweck ist. Wenn man keine großen Erwartungen an "Closer" hegt, actionreiche Blockbuster im Buchformat liebt und einen guten Magen hat, dann ist das Buch durchaus zu empfehlen.

SaschaSalamander 04.01.2010, 09.49 | (0/0) Kommentare | PL

Ein König für Deutschland

eschbach_koenig_150_1.jpgUnd wieder ist Andreas Eschbach ein Geniestreich gelungen. "Das Jesus-Video" dürfte fast jedem bekannt sein, es ist sein Meisterwerk, an dem er nun immer wieder gemessen wird. Und bei jedem Buch, das seitdem erscheint, darf er sich anhören, dass das aktuelle Buch niemals daran heranreiche. Das Los jeden Autors, der mal einen solchen Bestseller landete ;-)

Nun, Eschbach hat auch viele andere Werke. Er ist variabel, und ich liebe seine Vielfalt. Er schreibt brandaktuelle Thriller, er begibt sich auf die Pfade der Religion, er erfindet futuristische Welten, er spinnt Dystopien einer nur sehr wenige von unserer Zeit entfernten Zukunft, er bastelt aus aktuellem Tagesgeschen in der Zeitung eine unvorhersehbare Fortsetzungsgeschichte. Er bot Schreibkurse an (zu gerne hätte ich daran teilgenommen), und er setzt sich für den schreibenden Nachwuchs ein. In meinen Augen ist Eschbach ein Genie. Diese Ansicht mögen wohl nicht alle Leser hier teilen, aber ich selbst kann immer nur wieder begeistert von ihm berichten! Seine Werke haben hier und da kleine Schwächen, aber das liegt daran, dass Fiktion und Realität sich niemals perfekt vereinen lassen und entweder die Fantasyfreunde es gerne etwas actionreicher und abgedrehter hätten, die Realisten auf etwas mehr Ernst und Fakten pochen. Für das Kunstwerk, beides dennoch immer wieder erneut auf faszinierende Weise miteinander zu vereinen, gebührt Eschbach wirklich Ehre!

Simon König ist Lehrer in Stuttgart. Ein eher ruhiger, zurückgezogener Mensch. Der damals einen großen Fehler beging, aus diesem ging ein unehelicher Sohn, Vincent, in Amerika hervor, und seine Frau verließ ihn. Eines Tages, sehr viele Jahre später, der Sohn ist inzwischen erwachsen, landet eine CD in seinem Briefkasten, mit der dringenden Aufforderung Vincents, diese verschwinden zu lassen und niemandem davon zu erzählen. Doch bevor Simon wirklich begreift, was vor sich geht und wie wichtig diese CD tatsächlich ist, wurde sie ihm bereits entwendet.

Die junge Frau Sirona tritt an Simon heran, welche zuvor von Vincent kontaktiert wurde. Und so erfährt der Leser langsam, worum es überhaupt in dieser Geschichte geht: Vincent hat ein Computerprogramm entwickelt, mit welchem Wahlcomputer manipuliert werden können. Dies solle bei der nächsten Landtagswahl in Hessen eingesetzt werden. Und so verrückt das für Simon alles klingt, die nächsten Wahlergebnisse sehen tatsächlich nach einem Betrug aus. Gemeinsam mit Sirona und deren Freunden schmiedet Simon einen Plan, die Manipulation der Rechner mittels einer von Vincent eingebauten Hintertür aufzudecken: sie gründen eine Partei namens VWM, die Volksbewegung zur Wiedereinführung der Monarchie.

Es beginnt als kleines Projekt, sie wollen nicht auf sich aufmerksam machen und unauffällig bleiben, um durch spätere hohe Wahlergebnisse zu beweisen, dass die Wahl gefälscht wurde. Doch die Situation entwickelt sich immer mehr zum Selbstläufer. Simon ist anfangs abgeneigt, gewöhnt sich jedoch immer mehr an seine Rolle als angehender König. Und Sironas Freunde, begeisterte Rollenspieler und LARPer, sehen in dieser Aktion ein Spiel, welches in dieser realistischen und spannenden Form noch niemals möglich war. Auch die Mitspieler beginnen, ihre Rollen sehr ernst zu nehmen, und die Presse hat ein gefundenes Fressen. Warum nur neidvoll auf fremde Königshäuser blicken, wenn man den König im eigenen Lande haben kann? Bald werden die Bundestagswahlen anstehen ... was ist inzwischen Spiel? Und wo beginnt die Realität? Und was geschieht, falls das Volk tatsächlich von einem Monarchen regiert werden will?

Die Handlung an sich klang für mich eher wenig interessant, muss ich gestehen. Doch Eschbach versteht es hervorragend, Fakt und Fiktion so zu vermischen, dass es richtig Spaß macht. Ich fühle mich nicht in der Lage zu beurteilen, wie gut oder schlecht die Fakten hiervon recherchiert sind, aber dies ist mir offen gesagt auch egal. Er ist ein Autor, den ich zur reinen Unterhaltung lese, und die ist mir jedes Mal gewiss. Selbstverständlich mag die Handlung Schwächen haben, doch all seinen Büchern ist eines gewiss: der Leser muss bereit sein, sich auf eine völlig schräge Denkweise einzulassen und die Realität zwar immer im Auge zu behalten, sie aber dennoch hinter sich zu lassen.

Es gibt auch Dinge, die eher beiseite gelassen wurden. Ich fragte mich oft, wie wohl die anderen Parteien auf diese plötzlich erschienene vermeintliche Spaßpartei reagieren würden? Was andere Zeitungen als die speziellen Frauenblättchen auf sein Erscheinen sagen würden? Was das Ausland dazu sagen würde? Andererseits denke ich, dass der Roman in dieser Form nicht möglich gewesen wäre, wenn all solche Feinheiten beschrieben worden wären, es wäre zusehr ausgeufert und hätt ein politischen Diskussionen geendet, welche das Buch dann eher zerstört als bereichert hätten.

Ich weiß definitiv nicht, in welches Genre ich dieses neue Werk einordnen soll. Wie üblich gelingt es Eschbach, sich über alle Grenzen hinweg eine völlig neue Schublade zu erschaffen. Es ist stellenweise dramatisch. Oft lustig. Manchmal schon nervenzerfetzend spannend. Eine Verschwörung taucht darin auf. Sci-Fi kann man es aufgrund der Aktualität nicht nennen, Dystopien liegen in zu weiter Ferne. Gibt es einen Begriff für eine Dystopie oder einen Sci-Fi, welches in der Gegenwart liegt? Aber selbst Phantastik trifft es nicht, denn es gibt weder Übernatürliches noch Futuristisches. Es ist lediglich eine Aneinanderreihung von Gedanken und Ideen, die in dieser Form vielleicht niemals geschehen werden, theoretisch - rein theoretisch - aber vielleicht sogar möglich wären, wer weiß?

Der Gedanke an eine Monarchie in Deutschland lässt sofort negative Assoziationen aufkommen, und man fragt sie, wie dieses Thema bitte positiv verkauft werden soll. Und es gelingt Eschbach tatsächlich, den Leser für seinen König zu gewinnen. Ich bin sicher, auch andere Leser haben sich am Ende gewünscht, dass es vielleicht doch wahrwerden möge, und dass Herr König vielleicht tatsächlich DIE Änderungen bewirken könnte, die in all den letzten Jahren versäumt wurden. Es mag sein, dass es nur Gedankenfetzen sind, Stammtischphrasen, aber so geschickt verpackt, dass es wirklich Spaß macht, ihnen zu folgen. Man wird ja noch träumen dürfen von einer Bildungsreform, einem fairen Steuersystem und anderen Vorzügen, die Herr König seinem Volk verspricht ;-)

Das Ende hat mich ein wenig enttäuscht. In den anderen Büchern ist es ihm oft gelungen, mit einem Paukenschlag alles über den Haufen zu werfen oder aber eine völlig neue Wende einzubringen. Dieses Mal hatte ich eher das Gefühl, er wusste nicht so recht, wie er am Ende noch einmal einen solchen Punkt einführen könnte. Andererseits muss ich gestehen, dass ich keine Ahnung habe, wie man dieses Buch anders hätte enden lassen sollen. Von daher ist es okay. Nicht grandios, aber okay.

Das Buch an sich auf jeden Fall kann ich nur sehr empfehlen: jedem Leser, der bereit ist, sich von Eschbach für eine Weile entführen zu lassen in eine Welt gleich der unseren, in welcher es jedoch einem Lehrer und einer Gruppe rollenspielender Twens auf einmal möglich ist, Dinge zu bewegen, die jeder von uns schon einmal bewegen wollte. "Das alles, und noch viel mehr, würd ich machen, wenn ich König von Deutschland wär". Was würden wir an Simons Stelle tun? Um diese Frage zu beantworten, sollte jeder dieses Buch einmal in die Hand nehmen ;-)

SaschaSalamander 11.12.2009, 10.41 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Tannöd

schenkel_tannoed_150_1.jpgNun habe ich also auch Tannöd gehört. Um schon alles vorweg zu nehmen, bevor ich schreibe (viel fällt mir zum Schreiben offen gesagt auch nicht ein), hier schon die Zusammenfassung: ich fand es nett, den Hype kann ich verstehen, aber mich selbst ließ es eher kalt, trotzdem hat es viele faszinierenden Aspekte.

Aber gut, ausnahmsweise mal das Pferd von hinten aufgezäumt. Ich möchte trotzdem nun schrittweise vorgehen. Erst einmal zum Roman selbst: die Autorin Andrea Maria Schenkel schrieb mit "Tannöd" ihren Erstling, und er schlug ein mit Bombenerfolg. Dabei bezieht sie sich auf einen real geschehenen Mord in >Hinterkaifeck< im Jahre 1922. Es gab schon eine andere literarische Aufarbeitung, doch der Vorwurf des Plagiats wurde dann abgewiesen. Nun gut, ich kenne das andere Werk nicht, aber ich denke, berühmte Momente der Geschichte oder bekannte Mordfälle wie Jack the Ripper wurden auch immer wieder neu bearbeitet, ohne dann jedoch abgeschrieben zu sein ...

Zur Handlung nur soviel: so wirklich beliebt waren die Bauern Danner auf dem Tannödhof nicht, mürrisch, geizig, hart. Trotzdem sind alle geschockt, als das Ehepaar, deren Tochter, Enkel und sogar die Magd auf brutale Weise getötet wurden, und niemand kann sich vorstellen, wer zu einer solch schrecklichen Tat fähig sein könnte.

Das Buch ist nicht als Roman geschrieben, sondern in Form einzelner Interviews. Beginnt ganz unverfänglich mit der Geschichte eines kleinen Mädchens, welches erzählt, wie seine beste Freundin nicht in der Schule war und auch nicht im Gottesdienst. Es wird erzählt, was kleine Mädchen eben so erzählen. Von gemeinsamen Freuden, von einem Streit, von ihrem Lieblingsessen und den gemeinsamen Spielen. Davon, wie die Tochter der Danners immer von ihrem Vater aus Amerika erzählte, und von dem Zauberer im Wald. Und so geht es weiter. Anfangs scheinbar unzusammenhängend, im Laufe der Zeit immer strukturierter und verständlicher sind die Berichte abgefasst. Nachbarn erzählen, der Lehrer, der Pfarrer, eine alte Bäuerin, sie alle haben ihren Teil beizutragen und tratschen munter über die Danners und deren unzüchtiges Leben. Immer mehr Details werden enthüllt, hier mal eine Andeutung, dort eine Mutmaßung, dort will niemand etwas gesehen haben, aber andere hätten behauptet, und so wird aus vielen verschwommenen Mosaiksteinchen ein immer deutlicheres Bild, welches sich dem Leser dann zwar enthüllt, aber dennoch viele Fragen offen lässt ...

Ich habe das Hörbuch gehört, ohne mir zuvor den Inhalt anzusehen. Keine Rezension, keine Inhaltsangabe, kein Klappentext. Nur das Wissen, dass dieses Buch wohl ein Riesenerfolg gewesen sein muss und nun sogar verfilmt wird. Umso erstaunter war ich dann über das, was sich mir bot. >Monica Bleibtreu< (gestorben 13.05.2009) war mir als Stimme bis dahin nicht bekannt, und ich war angetan von ihrer ausdrucksstarken Darstellung. Männer kenne ich als virtuose Künstler, die regelrechte Ein-Mann-Hörspiele hinbekommen, doch Frauen haben diese Stimmgewalt leider nicht, vor allem anatomisch bedingt (vermute ich). Doch Monica Bleibtreu gelingt, was ich von Frauen sonst nicht kenne: sie verkörpert verschiedene Personen. Ein naseweises Mädchen, eine alte Bäuerin, ein alter Pfarrer, die bigotte Haushälterin des Pfarrers, eine bauernschlaue alte Frau, der ruhige Lehrer, der Postbote, sie erschafft mit ihrer Stimme, ihrem Tonfall, ihrer Betonung, ihrer Sprachmelodie, ihrem Rhythmus, mit allem, was ihre Stimme hergibt, unzählige verschiedene Menschen. Ich sah sie bildlich vor mir, wie sie hibbelnd auf dem Stuhl saßen, wie sie ruhig in die Ferne blickten, die Finger ineinandergruben, hektisch sich umsahen, wie sie genüsslich erzählten und immer mehr ausschmückten oder aber sich in sich zogen und nicht wirklich etwas von dem Grauen erzählen wollten.

Anfangs war ich extrem verwirrt, weil ich gar nicht wusste, auf was das Buch nun abzielen soll. Und bis zum Ende wurde mir nicht klar, wem diese Personen nun antworten. Einem Reporter? Einem Schriftsteller? Einem Polizisten? Und was haben die Gebete zwischen den einzelnen Interviews zu bedeuten? Ich dachte, dass mir da etwas entgangen sei, aber bei späterem Stöbern im Web fand ich heraus, dass dies wohl Fragen sind, welche allgemein nicht geklärt wurden. Nun gut, es sind stilistische Mittel, und ein Autor muss sich nicht immer erklären. Die Gebete haben mich dann langsam recht genervt, aber sie gehörten dazu, und das "Herunterleiern", wie Monica Bleibtreu es so perfekt gemacht hat, hat sehr viel Stimmung in das Hörbuch gebracht, es verstärkte das Gefühl, welches für mich während des Hörens aufkam. Die Atmosphäre von heuchlerischen, auf sich bedachten, kleingeistigen, aber doch auf ihre Weise gerissenen Menschen, die sonntags in die Kirche gehen und ihre Gebete herunterleiern, die täglich ihre Litanei beten, die aber hinter ihren verschlossenen Türen ihre Ehefrau prügeln, die Kinder schlagen, die Tochter missbrauchen und böse über andere reden, welche sich in der Öffentlichkeit einen kleinen Fehler erlauben. Ich sah sie hinter ihren Gardinen hervorlugen, streng bedacht, den Schein zu wahren und mit dem Finger auf andere zu zeigen ...

besonders auffällig auch die Mundart. Es wurde sehr viel Dialekt eingebracht, es kamen alte Ausdrücke zur Sprache, die das Hörerlebnis sehr stimmungsvoll machten und perfekt in die Inszenierung passten.

Um wieder zum Anfang zurückzukommen: die Handlung an sich (oder besser der Inhalt dahinter, denn Handlung konnte man es nicht nennen) ließ mich recht kalt, und im Normalfall hätte ich ein solches Buch recht schnell wieder beiseite gelegt. Doch die Darstellung durch die Sprecherin, und auch die gekonnte Erzählweise mit all den kleinen Aha-Erlebnissen, wenn eine kurze Erwähnung vom Anfang nun plötzlich sich mit einem weiteren Puzzleteil zu einer weiteren Erkenntnis für den Leser zusammenfügt, das hat seinen ganz eigenen Reiz.

Wirkliche Spannung kommt nicht auf, und einen klaren Handlungsfaden darf man nicht erwarten. Man sollte sich wirklich völlig auf das Werk einlassen, ohne sich bestimmte Erwartungen oder Vorstellungen davon zu machen. Sondern es einfach wirken lassen.

Als Film würde ich mir das vermutlich nicht ansehen, dazu reizen mich das Thema und die Leute viel zu wenig. Ob es mir als Buch gefallen würde, weiß ich nicht, denn Monica Bleibtreu hat dem allem für mich schon einen sehr persönlichen Touch verliehen. Aber das Hörbuch - WOW! Ich kann verstehen, wenn viele das Buch langweilig finden, die Rezensionen im Web (die ich erst im Nachhinein angesehen habe) gehen ja sehr auseinander, und viele halten es für herausgeworfenes Geld. Kann ich verstehen. Aber ebenso verstehe ich all jene, welche das Buch begeistert als Meilenstein feiern und in den Himmel loben. Mich selbst findet man irgendwo dazwischen.

Mein Tipp: auf jeden Fall das Hörbuch in der Version mit Monica Bleibtreu hören!

SaschaSalamander 18.11.2009, 10.27 | (0/0) Kommentare | PL

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